Es soll eine Ausnahme bleiben, hier über italienische Innenpolitik zu berichten. Denn wer begibt sich schon freiwillig in die Niederungen unappetitlich geführter italienischer Wahlkämpfe oder mag darüber lamentieren, was die Italiener bewogen haben mag, bei den als „wichtiger Stimmungstest“ ausgegebenen Regionalwahlen am vergangenen Wochenende Berlusconis Bündnis aus den verschiedensten konservativen, christdemokratischen und neofaschistischen Parteien einen Erfolg zu bescheren?
Da aber diese Wahl zur Folge hat, dass im Piemont zukünftig mit Roberto Cota die Lega Nord den Regionspräsidenten stellt, ist uns das zumindest eine Kurznotiz wert. Weil wir gerne im Piemont sind, und dort eine andere Atmosphäre erleben, als die von sezessionistischem und fremdenfeindlichem Rechtspopulismus geprägte Grundhaltung der Ziehväter des zukünftigen Staates „Padaniens“, geben wir als Nachlese kurz die genauen Wahlergebnisse wieder. Wer meint, dass uns der Blick auf das italienische Regionalwahlsystem ein klein wenig tröstet, trifft damit ins Schwarze:
Die bisherige Amtsinhaberin Mercedes Bresso von der Partito Democratico erhielt 1.033.946 Stimmen (46,9%), ihr Herausforderer Roberto Cota von der Lega Nord 1.043.318 Stimmen (47,3%) – und die vom Schauspieler/ Satiriker/ Blogger Beppe Grillo ins Leben gerufenen Liste „Bewegung fünf Sterne“ (Movimento Cinque Stelle), die für einen bedeutend härteren Oppositionskurs steht, mit Davide Bono aus dem Stand 90.086 Stimmen (4,1%).
Dürfte man die Stimmen der Berlusconi-Gegner zusammenzählen, kämen sie im Piemont demnach auf 51 Prozent. Da aber um die Regierbarkeit zu garantieren das Regionalwahlsystem vorsieht, nur einen Teil der Sitze im Regionalrat gemäß der Stimmenstärke der Parteien zu vergeben, und der Rest der Siegerkoalition nach dem Prinzip „The winner takes it all“ zufällt, sieht die neue Sitzverteilung in Turin anders aus: 36 Sitze für Cotas Siegerkoalition (Centrodestra), 22 Sitze für Bressos Centrosinistra und 2 Sitze für die Bewegung Movimento Cinque Stelle.
Die Stimmen für Beppo Grillos Movimento Cinque Stelle dürften mehrheitlich aus dem linken Lager gekommen sein, was letztlich Mercedes Bresso den Sieg gekostet hat. Diese Protestbewegung gegen die etablierte Politik, die anfangs mit einigen „Vaffanculo-Days“ (Leck-mich-am-Arsch-Tagen) gegen politische Missstände mobilisierte, hat zudem viele Anhänger in der NO-TAV-Bewegung, die sich gegen das Bauvorhaben für den Treno ad alta velocità, die durch das Susatal geplante Hochgeschwindigkeitstrasse zwischen Turin und Lyon, zur Wehr setzen.
So viel zur Nachlese.
Nun darf man also gespannt sein, was Cota, der nach seinem Wahlsieg großkotzig prahlte „Dieser Sieg wird die Geschichte des Piemont verändern“, in Turin auszurichten vermag. In der Stadt, die von 1861 bis 1864 die erste Hauptstadt Italiens war, laufen längst die Vorbereitung zum 150. Jubiläum der Staatsgründung. Deren Symbole Vertretern der Lega Nord nicht mehr als den „Stinkefinger“ wert sind.
Sabine Bade & Wolfram Mikuteit