NO TAV – der Widerstand wächst, nicht nur im Susatal

50.000 – 70.000 Teilnehmer bei der NO TAV Demonstration am 25. Februar 2012 im Susatal. Mit Fotos von Luca Perino.
Aber der Reihe nach:
Luca Perino - Manifestazione Bussoleno - Susa, 25.02.2012 Vor einigen Tagen berichtete die Internationale Alpenschutzkommission CIPRA darüber, dass nun auch in Frankreich der Widerstand gegen das geplante milliardenschwere Prestigeprojekt der neuen Bahnstrecke Lyon-Turin wächst: französische Umweltorganisationen lehnen das Megaprojekt des Treno ad Alta Velocità mittlerweile genauso ab wie die konservative Partei UMP in Savoyen. Bedenken äussert jetzt auch das französische Umweltministerium.

Luca Perino - Manifestazione Bussoleno - Susa, 25.02.2012 Herrschte bisher der Eindruck vor, auf französischer Seite würde das Hochgeschwindigkeits-Bahnprojekt schlicht und zügig durchgewunken, scheint sich nun auch in Frankreich die Erkenntnis durchzusetzen, dass das stets postulierte Ziel – die Verlagerung der Güter von der Strasse auf die Schiene – mit dieser neuen Bahnstrecke gar nicht erreicht werden kann.
Es bleibt abzuwarten, ob diese nun geäußerten Bedenken (die von den italienischen Projektgegnern seit über 20 Jahren vehement vertreten werden), aufrecht gehalten werden, wenn der französische Wahlkampf erst einmal vorüber ist.

Luca Perino - Manifestazione Bussoleno - Susa, 25.02.2012 Denn schließlich hätte man auch erwarten können, dass die einschneidenden Sparpläne des neuen italienischen Ministerpräsidenten Mario Monti auch derartige nationale Prestigeprojekte kippen würden. Stattdessen werden dort neue Steuern eingeführt, Stellen in Regionen, Provinzen und Kommunen massiv abgebaut,  Renten gekürzt, Sozialleistungen drastisch zurückgefahren, Nationalparkgebieten der Etat halbiert – aber vom Basistunnelprojekt im Susatal, dessen Kosten (allein für Italien) wohl deutlich über den momentan veranschlagten 10 Milliarden Euro liegen werden, nicht einen Millimeter abgerückt.
Jedenfalls nicht, so lange die 620 Millionen Euro, mit denen die EU dieses italienisch-französische Projekt kofinanziert, noch nicht verbuddelt sind. Denn auffällig ist, wie oft von italienischen Regierungsvertretern diese Subventionen ins Feld geführt werden: „Wenn wir nicht bauen, verlieren wir den Anschluss an die Zukunft – und die Millionen aus der EU-Förderung!“
Um diese EU-Gelder fließen zu lassen, musste ein Baubeginn zwingend zumindest pro forma vor dem Stichtag 30. Juni 2011 erfolgen. So rückten in der Nacht zum 27. Juni 2011 circa 2.000 aus allen Landesteilen zusammengezogene Ordnungskräfte vor und räumten unter Zuhilfenahme von Wasserwerfern und durch die Genfer Konvention geächtetem CS-Gas das Hüttendorf der Projektgegner, die Libera Repubblica della Maddalena bei Chiomonte.
Luca Perino - Manifestazione Bussoleno - Susa, 25.02.2012 Am darauf folgenden Wochenende protestierten am Baugelände für den Zugangsstollen über 60.000 Menschen. Seitdem wird der Bauzaun rund um die Uhr von Einheiten der italienischen Gebirgsjäger, der Brigata Taurinense, bewacht. Eben von ihrem Einsatz in Afghanistan zurückgekehrt, schützen sie mit gepanzerten Fahrzeugen ein kleines Stückchen Land vor der eigenen Bevölkerung. Für circa 90.000 Euro täglich. Ein Baubeginn ist nicht in Sicht, was seitens der EU allerdings keinerlei Konsequenzen zur Folge hatte.
Konsequenzen hatte die Teilnahme an den NO-TAV-Demonstrationen allerdings für 26 Menschen, die im Morgengrauen des 26. Januar 2012 während einer landesweiten Razzia verhaftet worden sind. Luca Perino - Manifestazione Bussoleno - Susa, 25.02.2012 Für deren Freilassung und gegen die zunehmende Kriminalisierung der Projektgegner gingen am Samstag, 25. Februar 2012 wieder 50.000 – 70.000 Menschen (die angegebenen Zahlen schwanken stark) im Susatal auf die Straße.
Angeführt wurde der Marsch von Bussoleno nach Susa wie stets bei Aktionen dieses breitgefächerten Bündnisses vom Präsidenten der Comunità Montana Valle Susa e Val Sangone und den Bürgermeistern der meisten Gemeinden des Susatals.

Alle 433 Aufnahen von Luca Perino:  Demonstrationszug am 25. Feb. 2012 von Bussoleno nach Susa:

Luca Perino - Manifestazione Bussoleno - Susa, 25.02.2012 Da diese Demonstration wie immer vollkommen friedlich verlief – schlechte Nachricht für Medien, die den Protest im Susatal immer wieder gerne mit gewalttätigen „schwarzen Blöcken“ in Verbindung bringen wollen – wurde nach ihrem Ende den rückreisenden Demonstrationen am Turiner Bahnhof Porta Nuova ein spektakulärer Empfang geboten: Nach unseren Informationen wartete die Polizei dort mit großem Aufgebot und soll nicht nur kräftig die Knüppel geschwungen – sondern auch willkürlich Tränengas eingesetzt haben.

Sabine Bade & Wolfram Mikuteit

Nachtrag: In den frühen Morgenstunden am Montag, den 27. Februar 2012,  wurde das Gebiet um die Mahnwache Clarea am Bauzaun von einem Grossaufgebot der Polizei gewaltsam geräumt und dabei ein Demonstrant lebensgefährlich verletzt.

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Ein Kommentar

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Eine Antwort zu “NO TAV – der Widerstand wächst, nicht nur im Susatal

  1. Radio Dreyeckland hat ein Interview über die Ereignisse bei der Großdemonstration am 25. Februar 2012 im Valle Susa und die anschließende Räumung der Mahnwache an der Clarea ins Netz gestellt. Martina, die wir seit langem durch ihre Arbeit für das No-TAV-Komitee Turin kennen, rückt darin gerade, was derzeit nur verzerrt durch italienische oder deutschsprachige Medien geht.

    Sabine

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