Königlicher Straßenbau zur Steinbockjagd …
König Vittorio Emanuele II., der wegen seiner Jagdleidenschaft auch ‚Re Cacciatore‘ genannt wurde, erwarb im Aostatal ab 1856 Gebiete in der Gran-Paradiso-Region zur Steinbockjagd ;
zunächst am Colle del Nivolet, dann im Valsavarenche, im Val di Cogne, im Val di Rhêmes, im Val di Champorcher und in den (heute) piemontesischen Tälern von Orco und Soana. In all diesen Gebieten wurden Jagdhäuser errichtet, und der Ausbau des alle Jagdgebiete miteinander verbindenden Wegenetzes begann 1861. Insgesamt 340 Kilometer Jagdwege bis auf eine Höhe von 3.296 Metern, alle zwischen 1 m und 2,5 m breit und für Pferde zu bewältigen, wurden angelegt.
Im Valsavarenche befinden sich gleich drei ehemalige königliche Jagdhäuser: die frühere Casa Reale di Caccia di Montcorvé (das alte Rifugio Vittorio Emanuele II. unterhalb des Gipfel des Gran Paradiso), die Casa di Caccia von Orvieille und die Casa di Caccia auf der Nivolet-Hochebene, die seit 1921 als Rifugio Savoia betrieben wird.
Wer von Pont aus, dem letzten mit dem Auto anfahrbaren Ort im Valsavarenche, dort hinauf ins malerische Herz des 1922 gegründeten Nationalparks – dem Enkel des Jägerkönigs war die Anfahrt von Rom aus zu weit und er überschrieb das Jagdrevier dem Staat – wandern will, nutzt auch heute noch die zu Jagdzwecken angelegte Infrastruktur.
… auch von Partisanen und Flüchtlingen genutzt
In der ARTE-Dokumentation Schattenkampf – Europas Résistance gegen die Nazis, die erstmals im Herbst 2011 ausgestrahlt wurde, schilderte der Anwalt Ettore Serafino, wie er sich im September 1943 auf der Flucht vor den Deutschen aus Aosta über die Nivolet-Hochebene nach Süden absetzte.
Denselben Weg nahmen später noch viele andere. So floh aufgrund einer großangelegten Durchkämmungsaktion in den valdostanischen Gran-Paradiso-Tälern auch eine Gruppe von annähernd 350 Personen – Partisanen und Zivilisten – Anfang November 1944 aus dem Valsavarenche über die Nivolet-Hochebene in das bereits von den Alliierten befreite Frankreich. Sie starteten in Pont, übernachteten in der Nähe des Rifugio Savoia und brachen im Morgengrauen des 5. November auf zu ihrem Weg über den Colle Galisia. Am Abend des 6. November 1944 kamen sie wohlbehalten in Val d’Isère an.
Die hier skizzierte circa 5-stündige einfache Rundwanderung folgt einem Teil ihres Weges, führt von Pont (1.956 m) zum Rifugio Savoia (2.533 m), das von Mitte Juni bis Ende September bewirtschaftet wird. Auf dem gelb markierten Wanderweg ‚3‘ gelangt man in vielen kurzen Serpentinen zum Aussichtspunkt Croce di Arolley (2.314 m). Diesem Weg treu bleibend geht es in permanentem leichten Auf und Ab über die weite Hochebene des Piano del Nivolet. Man ignoriert in der Folge alle Abzweigungen, bis der Weg kurz vor dem Rifugio in die Straße mündet, über die die Nivolet-Hochebene aus dem Süden auch mit dem Auto anfahrbar ist.
Der Rückweg erfolgt zunächst über die nur leicht geschotterte, meist grasüberwachsene Piste, die als Verlängerung dieser Straße eine durchgehende Verbindung ins Valsavarenche schaffen sollte: Ein ambitionierter Plan, der aus Geldmangel und wegen diverser vorher nicht einkalkulierter ‚technischer Unwägsamkeiten‘ schließlich in den 1970er-Jahren aufgegeben wurde. Von ihr zweigt nach rechts ein schmaler Pfad ab (Weg ‚3D‘). Vorbei an der Grange Teureun (auch: Grange Turin) wird nach Überquerung der stark mäandernden Dora di Nivolet wieder der Hauptweg ‚3‘ erreicht, über den es zum Croce di Arolley und zurück nach Pont gelangt.
Diese Tour läßt sich – mit Übernachtung im Rifugio Savoia oder dem nahgelegenen Rifugio Città di Chivasso –wunderbar kombinieren mit der Besteigung des Wanderdreitausenders Mont Tou Blanc (3.438 m). Oder einem kurzem Abstecher auf eine der schönsten Hochebenen der Alpen, die Piani di Rosset mit ihrer bezaubernden Seenlandschaft.
Sabine Bade & Wolfram Mikuteit