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Partisanenpfade im Piemont – jetzt erschienen

Il libro è aperto – das Buch ist jetzt verfügbar – könnte man mit viel Phantasie und bei großzügiger Auslegung der italienischen Sprache sagen, hatte aber eine auch noch ganz andere Bedeutung:

Hochebene Conca del Prà Seit 1950 steht auf der idyllischen Hochebene Conca del Prà das Rifugio Willy Jervis in Erinnerung an einen der bekanntesten Protagonisten des Widerstandes im Val Pellice. Willy Jervis wurde am 5. August 1944 auf der zentralen Piazza von Villar Pellice erschossen, nachdem er den Deutschen in die Hände
gefallen war. Die ausgedehnte Hochfläche, über Villanova zu Fuß in ca. 3 h zu erreichen, ist heute zu Recht ein beliebtes Ausflugsziel, eignete sich aber auch hervorragend für die ab Juni 1944 vorgenommenen alliierten Versorgungsabwürfe. Wenn Radio London mit den Codewörtern Il libro è aperto einen Abwurf avisierte, eilten die Menschen aus Bobbio Pellice zur Conca hinauf, um Waffen, Munition und Lebensmittel einzusammeln.

Ein Interview zur Veröffentlichung
Wir haben uns kurz vor Erscheinen des Buches mit Hans-Peter Koch von SeeMoZ  (SeeMoZ – Lesenswertes aus Kultur und Politik für den Bodenseeraum und das befreundete Ausland) unterhalten – über Geschichten und Geschichte im Piemont, über grandiose Wanderwege und über den Widerstandsgeist der Piemonteser, der bis heute anhält.

Warum soll unsereins noch heute auf Partisanen-pfaden durchs Piemont stapfen?

Als wandernde Piemont-Liebhaber fällt uns die Antwort leicht: Schließlich liegt diese Region nicht nur – wie der Name ‚al piè dei Monti’sagt – am Fuße der Berge, sondern mittendrin. Und verfügt darüber hinaus über ein wunderbares Wanderwege-Netz, von dessen Attraktivität sich so mancher mittlerweile zertifizierte Premiumweg nördlich der Alpen eine Scheibe abschneiden kann.

Von der Nivolet-Passstraße Blick auf die Seen Angnel und Serrù Unsere Touren zwischen Gran Paradiso im Norden und Monviso im Süden folgen ausgewiesenen Wanderwegen durch National- oder Naturparkgebiete, führen über königliche Jagdsteige, alte Saumwege und stille Gebirgspfade. Und oberste Priorität hatte bei der Auswahl der Wege neben der historischen Bedeutung stets die Attraktivität des Weges und die der Landschaft.

Die schöne Dora Riparia an der Piazza CLN (Comitato di Liberazione Nazionale) – Fertigstellung im Jahr XVII der faschistischen Zeitrechnung Zudem: Unser Buch richtet sich nicht nur an passionierte Wanderer. Mit den Stadtspaziergängen durch Turin und Torre Pellice – beide auf den Spuren der Resistenza, dem 20-monatigen Widerstand gegen den Faschismus – kommt auch auf seine Kosten, wer sich aus Bergen rein gar nichts macht. Partisanenpfade im Piemont ist ein Reisebuch, ein Wanderbuch und ein Geschichtenbuch.

Dennoch: Was und wen kümmert heutzutage noch die alten Geschichten des Widerstands in Italien? Ist das nicht längst vergessen?

Wir haben ein Buch geschrieben, das wir selbst vor über 20 Jahren bei unseren ersten Wanderungen in den piemontesischen Alpen gern dabei gehabt hätten. Dazu muss man wissen, dass im Piemont – wie auch jenseits des italienisch-französischen Grenzkamms – Stolpersteine zur Erinnerung an die Opfer der NS-Zeit nicht in den Boden eingelassen und auch deutlich größer sind als bei uns. Sie sind unübersehbar und bedienen sich einer ganz unverblümten Sprache. Und nachdem wir Anfang der 1990er-Jahre auf einer wildromantischen Hochebene auf über 2.000 Metern Höhe über ein Mahnmal für Opfer dieses Widerstands ‚gestolpert’ sind, hat uns das Thema nicht mehr losgelassen.

Berglauf Memorial Partigiani Stellina Valsusa
Im Susatal wird jedes Jahr am Wochenende um den 26. August herum der Battaglia delle Grange Sevine gedacht: Am Sonntag startet in Susa am römischen Augustusbogen der traditionelle Berglauf Memorial Partigiani Stellina Valsusa, der meist recht treffend „Corsa di Bolaffi“ genannt wird. Schließlich liegt der Zieleinlauf auf der Alpe Costa Rossa direkt am Denkmal für Giulio Bolaffi, des legendären Comandante Aldo Laghi und seiner Divisione Stellina.

Wie aktuell dieses Thema einmal werden würde, haben wir allerdings bei Abgabe des Manuskriptes selbst noch nicht erahnt: Zwar hat der Internationale Gerichtshof in Den Haag im Februar diesen Jahres bestätigt, dass das Prinzip der Staatsimmunität Deutschland vor Entschädigungsforderungen wegen in Italien begangener nationalsozialistischer Kriegsverbrechen schützt. Doch das Urteil hat auch klargestellt, dass Deutschland zumindest eine moralische Verantwortung dafür übernehmen müsse und die Notwendigkeit einer ‚gemeinsamen Erinnerungskultur’ angemahnt. Da regt sich was, durchaus nicht nur in Italien, wo gerade Anfang Mai in Florenz ein Kongress zu diesem Thema stattfand. Auch in Deutschland setzen sich langsam immer mehr Institutionen mit der italienischen Resistenza auseinander.

Piemont ist wunderschön. Und hat eine beeindruckende Geschichte. Ihr habt schon angedeutet, dass in Eurem Buch auch die Geschichte des Widerstandes gegen die Faschisten beleuchtet wird…

Von ganz vielen Seiten. Angefangen bei der 40-seitigen Einführung in dieses nur wenig bekannte Thema. Schließlich wuchs die italienische Widerstandsbewegung vom September 1943 bis Ende April 1945 mit wohl 250.000 Mitgliedern zur zahlenstärksten Widerstandsbewegung Westeuropas an. Diese 20 Monate, in denen sich Menschen unterschiedlichster politischer Couleur – Liberale, Sozialisten und Kommunisten waren ebenso beteiligt wie Monarchisten – zusammen schlossen, um gegen deutsche Besatzung und italienischen Faschismus und für einen radikalen Wandel in ihrem Land zu kämpfen, haben das Piemont schließlich nachhaltig geprägt.

Redaktionsbüro von Il Pioniere - Partisanenzeitung im Untergrund
Il Pioniere – Partisanenzeitung im Untergrund. Aus Sicherheits-gründen residierte das Redaktionsbüro in einer der entlegensten Ecken des Angrognatals, in der kargen Barma de l’Ours auf über 1.200 Metern Höhe. Die erste hektographierte Ausgabe erschien am 30. Juni 1944 in einer Auflage von 800 Kopien.

Wir haben aber kein Geschichtsbuch geschrieben, sondern anhand ganz unterschiedlicher Artikel versucht, diese Geschichte erlebbar zu machen. Wir erzählen von Mussolinis Aufstieg – weil die Widerstandsbewegung nur verständlich wird vor dem Hintergrund, dass beim Kriegseintritt Italiens an der Seite Hitler-Deutschlands 1940 ein damals 18-jähriger italienischer Wehrpflichtiger nicht einen einzigen Tag in einem demokratischen Staat gelebt hatte. Wir erzählen auch von dem 1933 in Turin gegründeten Verlag ‚Giulio Einaudi Editore’, mit dem Leone Ginzburg, Cesare Pavese, Giulio Einaudi, Carlo Levi, Vittorio Foa und viele andere versuchten, die faschistische Zensur zu unterlaufen und Bücher zu verlegen, die zu kritischem Denken anregen sollten – und dafür auch langjährige Haftstrafen und Verbannung in Kauf nahmen.

Wir erzählen auch von dem Phänomen, das die italienische Historikerin Anna Bravo als eine der „größten Verkleidungsaktionen der italienischen Geschichte“ bezeichnet hat: Dass sich circa die Hälfte der Soldaten des italienischen Heeres, die sich am Tag der Waffenstillstandserklärung im deutschen Machtbereich befunden hat, durch Flucht der Gefangennahme und dem Transport in die deutschen Zwangsarbeitslager entziehen konnte.

Blick auf die Barre des Ecrins am Passo dell'Orso
Blick auf die Barre des Ecrins am Passo dell’Orso

Und weil Partisanenpfade im Piemont ein Wanderlesebuch ist, haben wir in Ergänzung zu den Tourbeschreibungen auch ganz viele kurze Hintergrundgeschichten geschrieben. In diesen ‚Themensplittern’ kann – wer mag – nachlesen, warum jedes kleine Dorf in Italien seine ‚Via Roma’ hat, was genau unter der italienischen ‚Judenkartei’ zu verstehen ist, wie Piero Gobettis Witwe Ada ihre Winterüberschreitung des Passo dell’Orso in ihrem Tagebuch beschrieb. Hier findet sich auch das Gedicht ‚Kamerad Kesselring’, geschrieben in Erinnerung an den Kriegsverbrecher, der kaltschnäuzig genug für die Bemerkung war, die Italiener täten gut daran, ihm für sein Verhalten in der Zeit, in der er den Oberbefehl auf dem italienischen Kriegsschauplatz innehatte, ein Denkmal zu errichten.

Unter Berlusconi wurde der italienische Faschismus wieder hoffähig…

2011 bei der jährlichen Gedenkfeier am Colle del Lys zu Ehren  2024 gefallenen Partisanen aus den Tälern Lanzo, Susa, Sangone und Chisone
2011 bei der jährlichen Gedenkfeier am Colle del Lys zu Ehren  2024 gefallenen Partisanen aus den Tälern Lanzo, Susa, Sangone und Chisone

Wir wollen keinen Mythos bedienen. Dass es einen ganz offenkun-digen Widerspruch zwischen Wachhalten der Erinnerung an den antifaschistischen Widerstand einerseits und dem mittlerweile durch langjährigen Berlusconismus veränderten Geschichtsver-ständnis vieler Italiener andererseits gibt, ist uns bewusst. Auch, dass der Abgang von Silvio Berlusconi nichts daran ändert, dass er Mussolini und den italienischen Faschismus in Italien wieder hoffähig gemacht hat. Auch wenn das dort, wo wir unterwegs waren und immer wieder sind, nur ganz selten in Erscheinung tritt.

Widerstand im Piemont hat Tradition bis auf den heutigen Tag. Findet sich das auch in Eurem Buch wieder?

Ponte dell'Arnodera - nach der am 29.12.1943 erfolgreichen Sprengung wieder instandgesetzt
Ponte dell’Arnodera – nach der am 29.12.1943 erfolgreichen Sprengung wieder instandgesetzt

Wir haben jeden Talbereich mit einem Motto überschrieben, und das Motto für das Susatal lautet: ‚Der Kampf um die Eisenbahn’. In der Zeit der Resistenza stand dies Motto für die Schlacht um die für die Deutschen so bedeutsame Eisenbahnlinie Turin – Fréjus – Modane, über die der Nachschub in das besetzte Südostfrankreich verlief. Heute steht dieses Motto für den Widerstand gegen den ‚Treno ad alta velocità’, beziehungsweise die Bauvorhaben, die hier geplant sind, um die Hochgeschwindigkeitslinie zwischen Turin und Lyon zu realisieren.

Wir verfolgen den Widerstand im Susatal seit Mitte der 1990er-Jahre (und haben auch in SeeMoZ mehrmals darüber berichtet). Damals lasen wir vom ‚Transalpedes’-Projekt, mit dem Umweltaktivisten um Dominik Siegrist und Jürg Frischknecht auf einer Wanderung am Alpenhauptkamm entlang auf die drohende Umweltzerstörung im Alpenraum aufmerksam machen wollten. Sie trafen in verschiedensten Regionen Menschen, die versuchten, sich gegen Fehlentwicklungen zur Wehr zu setzen. Einer von ihnen war Claudio Giorno, damals wie heute aktiv im Widerstand gegen die Betonlobby.

15.000 Teilnehmer auf einer spontan angesetzten Demonstration in Susa nach Räumung der Maddalena am 27. Juni 2011
15.000 Teilnehmer auf einer spontan angesetzten Demonstration in Susa nach Räumung der Maddalena am 27. Juni 2011

Das innerhalb der Widerstandsbewegung gegen das faschistische Mussolini-Regime und die deutsche Besatzung entstandene Motto „Ora e sempre Resistenza“ haben die Projektgegner längst zu ihrem gemacht. Man könne den Protest gegen das TAV-Projekt nicht von der Geschichte der Resistenza trennen, sagt denn auch Claudio Giorno. Piero Calamandrei, Professor für Zivilprozessrecht, hat 1955 in seiner berühmt gewordenen Vorlesung darauf hingewiesen, dass der Kampf um die italienische Verfassung in den Berggebieten ausgetragen wurde. Kein Wunder also, dass gerade dort dringender Nachbesserungsbedarf an eben dieser Verfassung aufgezeigt wird: Damit der Wille der ganz überwiegenden Mehrheit einer Region nicht einfach unter den Teppich gekehrt werden kann, damit auch beispielsweise das international geächtete CS-Gas nicht im Landesinneren verwendet werden darf und um unter anderem auszuschließen, dass Militär gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt wird. Darum haben wir in unser Buch auch den Artikel „Ora e sempre Resistenza: NO TAV!“ aufgenommen.

Ihr seid Reiseschriftsteller. Über welche anderen Regionen kann man Reisetipps von Euch erfahren?

Einspruch.Dass wir Sachbücher schreiben, macht uns nicht zu Schriftstellern. Auf unserer Internetpräsenz westalpen.eu sowie hier im Blog veröffentlichen wir regelmäßig Hintergrundinfor-mationen und berichten über kuriose und nicht alltägliche Geschichten aus unserem Zielgebiet, den italienisch-französischen Westalpenbogen zwischen Genfer See und Mittelmeer.

Und dort schreiben wir manchmal auch über Schriftsteller, etwa den französischen Literaturnobelpreisträger Jean-Marie Gustave Le Clézio. Der hat in seinem Buch ‚Fliehender Stern‘ die Geschichte einer Gruppe von Juden unterschiedlichster Nationalität erzählt, die zwischen März und September 1943 im französischen Saint-Martin-de-Vésubie Zuflucht vor den Deutschen gefunden hatte. Als die von Süden vorrückten, machte sich die Gruppe auf den beschwerlichen Weg über die Berge nach Italien. Ihre Hoffnung – mittlerweile war Mussolini abgesetzt und am 8. September der italienische Waffenstillstand erklärt – so in die Freiheit zu gelangen, trog: Die Deutschen marschierten am 12. September auch in diese Region ein und besetzten die italienischen Stellungen. Die Flüchtlinge wurden von den Deutschen auf Basis der von Mussolini 1938 'Memoriale della Deprtazione' in Borgo San Dalmazzo erlassenen Rassengesetze verhaftet, in Borgo San Dalmazzo (Provinz Cuneo) in Güterwaggons gepfercht und nach Auschwitz transportiert, wo 311 Menschen dieser Fluchtgruppe ermordet wurden. Ein Ereignis, auf das heute am Bahnhof von Borgo San Dalmazzo das ‚Memoriale della Deportazione‘ hinweist.

Derartige Hinweise auf Geschehnisse abseits des reinen Wanderweges sind auch in unsere bisher erschienenen sieben Wanderführer eingeflossen.

Die Fragen stellte Hans-Peter Koch

Partisanenpfade im Piemont. Orte und Wege des Widerstands zwischen Gran Paradiso und Monviso. Ein Wanderlesebuch von Sabine Bade und Wolfram Mikuteit. Das Buch: Sabine Bade | Wolfram Mikuteit: Partisanenpfade im Piemont. Orte und Wege des Widerstands zwischen Gran Paradiso und Monviso. Ein Wanderlesebuch. Verlag Querwege, Konstanz 2012, 272 Seiten, mit detaillierter Karte zu jeder Tour, mit GPS-Tracks und Waypoints zum Download, mit vielen Farb- und historischen s/w- Aufnahmen, ISBN 978-3-941585-05-8, EUR 19,90. Das gesamte Inhaltsverzeichnis und viele andere Informationen zum Buch auf Facebook.

 

 

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Partisanenpfade im Piemont

Partisanenpfade im Piemont. Orte und Wege des Widerstands zwischen Gran Paradiso und Monviso. Ein Wanderlesebuch.

Partisanenpfade im Piemont ist ein Reisebuch, ein Wanderbuch und auch ein Geschichtenbuch.
Am Colle della Crocetta auf der Kante zwischen Orco- und Grandetal, nicht weit von der französichen Grenze – Tour 4

Die 20 Monate der italienischen Resistenza, in denen sich Menschen unterschiedlichster politischer Couleur ab September 1943 zusammenschlossen, um gegen deutsche Besatzung und italienischen Faschismus und für einen radikalen Wandel in ihrem Land zu kämpfen, haben Italien nachhaltig geprägt. Ganz besonders die stark entvölkerte Gebirgsregion des Piemonts nah an der Grenze zu Frankreich. Wir nehmen die Leserinnen und Leser mit auf eine historische Zeitreise und machen die Geschichte der piemontesischen Widerstandsbewegung erlebbar – zu Fuß, automobilisiert oder zu Hause auf dem Sofa.

Partisanenpfade im Piemont ist ein Reisebuch, das einführt in die Welt der Alpentäler, die sich fächerartig westlich der Barockstadt Turin bis zum Alpenhauptkamm ziehen. An Plätze führt, in denen die Geschichte der Resistenza wachgehalten wird, und an Orte, in denen gut gegessen und genächtigt werden kann.
Grande Albergo Rocciamelone, Usseglio – Val di Viù, Tour 6, 7 und 8

Partisanenpfade im Piemont ist ein Wanderbuch, das 23 Touren – vom Stadtspaziergang durch Turin bis zur Hochtour auf den über 3.000 Meter hohen Colle Autaret – umfasst. Alle GPS-kartiert, alle anhand von Waypoints exakt nachvollziehbar und jede Tour mit herunterladbarem Track für das eigene GPS-Gerät. Mit Hinweisen zum ÖPNV, Kartenmaterial und Einkehrtipps.

Die schöne Dora Riparia an der Piazza CLN (Comitato di Liberazione Nazionale) – Fertigstellung im Jahr XVII der faschistischen Zeitrechnung. Geplant war hier, auch noch überlebensgroße Statuen von Mussolini und König Vittorio Emanuele III. aufzuzustellen – Tour 1

Partisanenpfade im Piemont ist auch ein Geschichtenbuch:
Die ehemaligen Redaktionsräume der Untergrundzeitung ‚Il Pioniere‘, gut versteckt im hintersten Zipfel des Angrognatals gelegen – Tour 21. 17 Ausgaben wurden hier über die Walze gezogen. Ab Nov. 1944 wurde die Zeitung in Torre Pellice gedruckt. Unter den Augen der Faschisten gegenüber der Caserma Ribet – Tour 20.

  • Wer und was dem „guten Onkel Mussolini“ zum Aufstieg verhalf.
  • Wie im Verlag Einaudi mit den faschistischen Zensurmaßnahmen umgegangen wurde.
  • Wie leerstehende Villen zu Krankenstationen der Partisanen umfunktioniert wurden.
  • Wie im Felsendorf Barma de l’Ours die Untergrundzeitung Il Pioniere hergestellt wurde.
  • Was Generalfeldmarschall Kesselring unter ‚Bandenbekämpfung‘ verstand.
  • Welche seltene Freundschaft den Philosophen Benedetto Croce und Ada Gobetti verband sowie deren legendäre Winterüberquerung des Passo dell’Orso und vieles Weitere mehr.

Im Jahr 2004 restaurierte Aufschrift in Traversella, welche die deutschen Besatzer vor den Partisanen warnen sollte. Dabei wurde der Propagandaspruch Mussolinis auch gleich aufgefrischt.

Mit vielen Farbfotografien und historischen s/w-Aufnahmen. Sämtliche Touren wurden von den Autoren im Sommer 2011 abgegangen.

– Hardcover
– 272 Seiten
– mit zahlreichen Farbfotos
– sowie historischen s/w-Aufnahmen
– mit detaillierter Karte zu jeder Tour
– ISBN 978-3-941585-05-8
– EUR 19,90

Sabine Bade & Wolfram Mikuteit

 

 

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Chaberton – die höchstgelegene Festungsanlage der Alpen

Der höchste und prägnanteste Gipfel des Susatales ist natürlich der Rocciamelone. Und zudem mit seinen 3.538 Metern auch der höchste Wallfahrtsort der Alpen.

Wenn es aber darum geht, welcher Berg in diesem Tal das kurioseste Aussehen hat – acht ‚Zähnchen‘ auf der abgeflachten Spitze – läuft dem weithin sichtbaren Mont Chaberton kein Berg der gesamten Region den Rang ab.
Auf einer Wanderung durch das Val Thuras, einem etwas abseits gelegenen sehr attraktiven Seitental der Dora Riparia, hatten wir ihn vor einigen Tagen sehr lange im Blick – Grund genug, endlich einmal über diesen Berg und sein von Menschen Hand geschaffenes Aussehen zu berichten.

Die Abdankung Napoléon III. im Jahr 1870, der oft als ‚Ziehvater‘ des italienischen Einigungsprozesses bezeichnet wird, und die nachfolgende Verschlechterung in den diplomatischen Beziehungen beider Länder zogen eine bisher nicht gekannte Aufrüstung entlang des Alpenhauptkammes nach sich. So wurden beispielsweise zwischen 1880 und 1890 die Forts am Col de Tende errichtet. Aber erst nachdem Italien 1882 dem Dreibund beigetreten war und sich so mit Deutschland und Österreich starke Verbündete gesichert hatte, reiften Pläne für den Bau einer Festungsanlage auf dem 3.130 Meter hohen Mont Chaberton.

die Baustelle im Jahr 1906
Von Fenils wurde ab 1891 eine 14 Kilometer lange Straße hinauf gebaut, die ‚Strada militare di Val Morino‘ (auch: Strada militare dello Chaberton), und danach erste Unterkünfte errichtet. Im Jahr 1898 wurde mit dem Bau der Anlage begonnen, in die zu Spitzenzeiten 400 Arbeiter einbezogen waren. Deren Versorgung erfolgte über eine aus Cesana heraufführende Materialseilbahn.

Der Gipfel wurde auf der Frankreich zugewandten Seite auf einer Fläche von 140 x 30 Metern abgeflacht und dahinter, sozusagen als Stufe ungefähr 15 Meter tiefer ein 110 x 10 Meter großes einstöckiges Betongebäude als Sockel für die 8 Geschütztürme errichtet. Jeder dieser Türme hatte einen Durchmesser von 7 Metern  und eine Höhe von 8 Metern. Oben drauf saß jeweils eine um 360 Grad drehbare Stahlkuppel für die Geschütze. Von der französischen Seite waren also lediglich diese zu erkennen.
Eine gigantische Anlage also, die hier vis à vis zu den in unmittelbarer Nähe liegenden französischen Anlagen Fort du Gondran, Fort de l‘Olive und Fort du Janus ab 1898 entstand.

Fertiggestellt wurde das Forte Chaberton, von den Franzosen auch „Cuirassé des Nuages“ oder „Fort des Nuages“ genannt, im Jahr 1913. Kam danach aber nie zum Einsatz. Denn als Italien unter recht fadenscheiniger Begründung 1915 den Dreibund kündigte, waren Italien und Frankreich auf einmal Verbündete – und die Geschütze wurden an die italienisch-österreichische Front transportiert.
Unter Mussolini wurde das Höhenfort 1927 wieder bewaffnet. Es wurde zur nächsten Auseinandersetzung mit dem Nachbarn gerüstet. Und nachdem Italien Frankreich am 10. Juni 1940 den Krieg erklärt hatte, um sich an der Liquidation des bereits von der deutschen Wehrmacht geschlagenen Gegners noch rasch und vermeintlich risikolos zu beteiligen, wurden vom Chaberton aus am 16. Juni 1940 – 42 Jahre nach Baubeginn – die ersten Salven abgefeuert.
Die Franzosen nahmen das Fort ab dem 21. Juni von einer südsüdwestlich von Briançon gelegenen bis zuletzt geheim gehaltenen Stellung ins Visier – und schon nach dem ersten Tag waren nur noch 2 von 8 Geschützen  einsatzbereit. So viel zum Thema ‚risikolos‘.
Geblieben sind die Ruinen, die jetzt dem Gipfel des Mont Chaberton aus der Ferne sein gezacktes Aussehen verleihen. Und die stehen seit dem Friedensvertrag von 1947 auf französischem Territorium.

Bis in die 80-er Jahre des vorigen Jahrhunderts war der Gipfel über die von Fenils heraufführende Piste noch mit einem geländegängigen Wagen anfahrbar. Diesen Weg können/ dürfen heute wegen teilweiser Verschüttung und Sperrung der Strecke nur noch Mountainbiker nutzen. Für Wanderer bietet es sich an, den weitaus kürzeren (und längst nicht so staubigen) Weg von Claviere herauf zu nehmen , für den man circa 4 Stunden benötigt.

Schade, dass der 1957 entstandene Plan, auf dem Gipfel des Monte Chaberton ein Rifugio zu errichten, nicht umgesetzt wurde. Dort hätten im 2. Geschoss, zwischen Restaurant und Panoramekuppel, 5 Doppelzimmer und 8 Einzelzimmer eingerichtet werden sollen. Quel luxe!

Sabine Bade & Wolfram Mikuteit

 

 

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Waldenser in den Cottischen Alpen und anderswo

Wer sind diese Waldenser, von denen so oft die Rede ist, wenn es um die piemontesischen Westalpentäler geht?
Wenn alles nach Plan der Initiatoren aus Deutschland, der Schweiz, Italien und Frankreich läuft, die gemeinsam am Aufbau des  1.800 km langen Kulturfern-wanderweg „Hugenotten- und Waldenserpfad“ arbeiten, werden wir wohl bald öfter von ihnen hören. Auch in deutschen Medien, denen ansonsten beim Thema „Piemont“ selten mehr als Trüffel, Juventus Turin oder FIAT einfällt.
Lux Lucet in Tenebris -
„lux lucet in tenebris“ (Das Licht leuchtet in der Finsternis) – Seit ungefähr 1640 wurden diese Worte aus dem Johannesevange-lium zum Sinnbild und zum Wappen der Waldenser.

Diese neue grenzüberschreitende Kulturroute folgt den Pfaden, auf denen französische und italienische Protestanten am Ende des 17. Jahrhunderts aus Glaubensgründen ihr Land verließen. Im Falle der Waldenser ist auch der Rückkehrweg einer kleinen Fluchtgruppe aus dem Schweizer Exil, die als „Glorreiche Rückkehr“ bezeichnet wird, in das Projekt einbezogen.

Die Wurzeln der Waldenser liegen im Hochmittelalter. Als Waldenser (italienisch „Valdesi“) bezeichnete die katholische Kirche die Anhänger einer im 12. Jh. vom reichen Kaufmann Petrus Valdes in Lyon begründeten Laien-Reformbewegung. Richtschnur ihres Glaubens war die Bergpredigt. Den Alleinvertretungsanspruch der Kirche und den Treueschwur auf den Grundherren lehnten sie ab („Man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen“) und verschrieben sich der reinen apostolischen Lehre. Sie selbst nannten sich „die Armen Christi“.
Das nicht unumstrittene – weil viel zu martialische – Denkmal für Henri Arnaud in Torre Pellice

Wie andere vorreformatorische Gruppierungen wurden die Waldenser als Ketzer von der Inquisition verfolgt und waren zur Flucht gezwungen. Aus dem Untergrund operierend hatten sie sich in einigen abgelegenen, unwegsamen Tälern der Cottischen Alpen halten können. Als sie sich 1532 der Reformation Calvins anschlossen, gerieten sie hier im strategisch bedeutsamen Grenzgebiet zwischen Frankreich und Savoyen-Piemont zunehmend in den Fokus der Verfolgung. Ein trauriger Höhepunkt wurde 1655 beim sog. „piemontesischen Ostern“ erreicht, als über 6.000 Waldenser ermordet wurden. Meist in Abhängigkeit vom jeweiligen Bündnispartner Savoyens wechselten sich Phasen relativ freier Religionsausübung und schärfster Verfolgungen ab. Ließ man sie (in sehr eng gesteckten Grenzen) ihren Glauben ausüben, weil Savoyen gerade in dieser unwegsamen Region auf ihre Ortskenntnis und Unterstützung angewiesen war, wurde damit aber auch der eherne Grundsatz des „cuius regio, eius religio“ durchbrochen, dieses Prinzip der Kirchenpolitik, wonach die Untertanen stets die Religion des Landesherren anzunehmen hatten.
Frankreich und Savoyen waren aber verbündet, als der Sonnenkönig Ludwig XIV. 1685 das Edikt von Nantes wieder aufhob, mit dem den französischen Protestanten durch dessen Großvater Henri IV. 1598 das Recht auf freie Religionsausübung zugestanden worden war. Die Jagd auf die Waldenser wurde intensiviert, und wer die Blutbäder überlebte, floh in die protestantische Schweiz. Aufnahme fanden Waldenser u. a. auch in Württemberg und Hessen.
Andere bereiteten die heimliche Rückkehr in die Heimat vor, die schließlich als „Glorioso Rimpatrio“ (auch: „Glorioso Rientro“ und  „Glorieuse Rentrée“, glorreiche Heimkehr) – von den Regierungen Englands und den Niederlanden aus strategischen Gründen finanziert und logistisch flankiert – im August 1689 erfolgte. Etwa 1.000 Waldenser zogen unter der Führung des Pfarrers Henri Arnaud in einem 14-tägigen Marsch vom Genfer See bis zu den Cottischen Alpen in ihre Heimattäler Val Pellice, Val Germanasca und Val Chisone und hielten anschließend in einem monatelangen Guerillakampf ihre Stellungen. Ihre Rettung gelang schließlich aber nur, weil sich der Herzog von Savoyen 1689 überraschend von Frankreich ab- und England und Österreich zuwandte. Ein Bündnis mit dem anglikanischen England zwang Vittorio Amadeo II. 1694 ein Toleranzedikt zu erlassen, das den Waldensern die Existenz in ihren Tälern garantierte. Bis 1848 dauerte es indes, bis ihnen volle bürgerliche Rechte und die Ausübung ihrer Religion auch außerhalb ihrer Täler garantiert wurde.

Während die Gemeinden der nach Deutschland geflüchteten Waldenser im 19. Jh. in die evangelischen Landeskirchen eingegliedert wurden, bewahrten sich die Waldenser in Italien ihre Eigenständigkeit. Der Sitz der Chiesa Evangelica Valdese ist in Rom – die heimliche Hauptstadt aber Torre Pellice, wo sich entlang der Via Beckwith Kirche, Kulturzentrum, Kollegium, Museum und auch eine Touristen offenstehende Gästeunterkunft, eine sog. „Foresteria“, befinden.

Hätten Protestanten einen Hang zum Pilgern,  könnte, was für manche Katholiken der legendäre Jakobsweg ist, für Anhänger der Reformation der Weg sein, den Waldenser im August 1689 auf ihrer sog. Glorreichen Heimkehr nahmen.

Sabine Bade & Wolfram Mikuteit

 

 

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Westalpenpässe beim Giro d’Italia

Der Giro d’Italia feiert dieses Jahr seinen 100. Geburtstag – und führt auf einer seiner Etappen auch durch die Cottischen Alpen.

Sacra San Michele Am 19. Mai führt die 262 Kilometer lange 10. Etappe von Cuneo nach Pinerolo.
Start ist morgens um 10 Uhr auf der Piazza Galimberti in Cuneo, weiter geht es  über Saluzzo und Avigliana unterhalb der Sacra San Michele hinein in das Susatal. Zur Linken die Gipfel des Parco Naturale Orsiera Rocciavrè, zur Rechten der Rocciamelone, mit 3.538 Metern höchster Wallfahrtsort der Alpen , wird Susa wohl spielerisch leicht erreicht, wo dann  exilles aber der Anstieg – den früher und zu Fuß Pilger auf der ‚Via Francigena‘ nahmen – vorbei an der im Jahr 796 gegründeten Abbazia di Novalesa bis nach Moncenisio erfolgt. Auf der Passstraße wieder hinunter nach Susa und von dort aus über Exilles durch das obere Susatal.

Hinauf nach Sestriere, wo mit 2.035 Metern der höchste Punkt dieser Etappe erreicht sein wird. Und von wo die lange finale Abfahrt durch das gesamte Forte di Fenestrelle Chisonetal  erfolgt. Wobei der übertragende Sender hoffentlich schöne Bilder vom Forte di Fenestrelle einfängt.

Für den Sieg bei der Bergwertung am Colle delle Fenestre im Jahr 2005 wurde für Danilo di Luca dort oben am Pass eine Ehrentafel errichtet. Wenn das auf einer bisher noch nicht vom Giro befahrenen Strecke in diesem Jahr wieder einem Italiener gelingt, gibt es ja vielleicht ein neues ‚Monument‘.

Sabine Bade & Wolfram Mikuteit

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