Archiv der Kategorie: Vésubietal

Unwetter verwüsten Roya-, Tinée- und Vésubietal

von Markus Golletz – motorradreisefuehrer.de

Piemont-Ligurien: Abgebrochene Straße

Piemont – Ligurien: abgebrochene Straße, Foto: Markus Golletz

Tenda-Tunnel, Royatal, Vésubie & Tinée:

Schwere Unwetter mit starken Wassermassen haben am 2./3.10.2020 am Ligurischen Grenzkamm und in den Französischen Seealpen starke Schäden hinterlassen. Das Royatal durchzieht nun eine Spur der Verwüstung, die Straße wurde mehrfach unterbrochen, vieles weggespült: Auch die südliche Abfahrt der Via del Sale (LGKS) und die Tunnelbaustelle für die zweite Röhre sind schwer beschädigt. An der Roia-Mündung waren bei Ventimigilia riesige Mengen an Schlamm sichtbar. Es werden noch mehrere Menschen vermisst. Weiterlesen

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Der Fluchtweg der Juden über die Seealpen

Aus dem Valle Gesso zum Colle di Finestra, besser noch: über die dort verlaufende Grenze zur Sanctuaire de la Madone de Fenestre zu wandern, ist immer lohnenswert. An jedem ersten Septembersonntag im Jahr aber etwas ganz Besonderes. Dann trifft man auf diesem Weg Menschen, die ein Stück tragischer Geschichte wachhalten, die an die etwa 800 Menschen erinnern wollen, die hier zwischen dem 9. und 13. September 1943 vor den aus dem Süden vordringenden Nazis über den Alpenhauptkamm flohen.

Dass zeitgleich die Deutschen auch Norditalien besetzten – woran dieser Tage nach genau 70 Jahren in vielen Orten Italiens von Boves bis Sant’Anna di Stazzema erinnert wird – wussten die Flüchtlinge damals nicht.

Percorsi Ebraici und Memoriale della deportazione
Das Département Alpes-Maritimes gehörte zur italienischen Besatzungszone Frankreichs, was den dort lebenden Juden Schutz vor der Deportation in die deutschen Vernichtungslager gewährte. Ausländischen Juden waren zwar Wohnorte in speziellen Internierungsorten zugewiesen worden, ausgeliefert wurden sie trotz unverhohlener Proteste des „Achsenpartners“ aber nicht. Allein in Saint-Martin-Vésubie lebten zum Zeitpunkt des italienischen Kriegsaustritts am 8. September 1943 etwa 2.000 Juden unterschiedlichster Nationalitäten, nun massiv bedroht, nachdem sich die Italiener über die Alpen zurückziehen mußten. Etwa 1.000 Juden, darunter Frauen, Kinder und alte Menschen, suchten nun, da die Deutschen von Süden vorrückten, einen Weg nach Italien. Ihre Hoffnung, mit dem beschwerlichen Weg über die Pässe Finestra (2.474 m) und Ciriegia (2.543 m) und weiter über Entracque und Borgo San Dalmazzo in die Freiheit zu gelangen, trog: die Deutschen marschierten am 12. September auch in diese Region ein und besetzten die italienischen Stellungen. Viele der Flüchtlinge wurden von den Deutschen auf Basis der von Mussolini 1938 erlassenen ‚Rasse-Gesetze‘ festgenommen und in Borgo San Dalmazzo inhaftiert.

Am Bahnhof dieses kleinen Ortes am Eingang des Sturatales erinnert heute ein Mahnmal, das ‚Memoriale della Deportazione‘  daran, dass hier am 21. November 1943 insgesamt 329 Menschen dieser Fluchtgruppe in Güterwaggons gepfercht und in das Konzentrationslager Auschwitz transportiert wurden, wo 311 von ihnen ermordet wurden.

Das italienisch-französisch-schweizerische Gemeinschaftsprojekt ‚La Memoria delle Alpi / La Mémoire des Alpes / Gedächtnis der Alpen’‚ das sich u.a. zur Aufgabe gesetzt hat, politische und rassistische Verfolgungen, Kriegsereignisse sowie geistige und militärische Widerstandsbewegungen, die den Alpenraum so stark geprägt haben, nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, hat diese Fluchtwege über den Colle di Finestra und den Colle di Ciriegia als Freiheitspfade‚ als ‚Percorsi Ebraici‘ ausgewiesen. Und der französische Literaturnobelpreisträger Jean-Marie Gustave Le Clézio hat die Ereignisse in seinem Buch „Fliehender Stern“ festgehalten.

Attraverso la memoria 2013 – 70 Jahre später
Vor 15 Jahren wurden die Gedenkwanderungen „Attraverso la memoria/ Marche de la mémoire“ ins Leben gerufen, unterstützt und begleitet werden sie vom Istituto storico della Resistenza in Cuneo, der Associazione Giorgio Biandrata in Saluzzo, der Association pour la Mémoire des Enfants Juifs Déportés des Alpes-Maritimes, Yad Vashem Nizza uvm. Jeweils am ersten Sonntag im September treffen sich auf einem der beiden Pässe Franzosen, Italiener und Nachfahren der Flüchtlinge: „Per non dimenticare“, „Pour ne pas oublier“, „To not forget“ – um nicht zu vergessen.

Dieses Jahr hatte es am Freitag zuvor Gedenkveranstaltungen in Saint-Martin-Vésubie und in Saluzzo gegeben, und am Samstag war den Schwestern Gitta und Chaya Horowitz, die als Kinder über diese Berge geflüchtet sind, in Valdieri die Ehrenbürgerinnenwürde verliehen worden. Zusammen mit ihren Kindern und Enkeln, die sich wie wir am Sonntag morgen auf den Weg zum Colle di Finestra machten, sind sie aus den USA angereist.

So trafen sich oben am Pass annähernd 200 Menschen, als die Namen der Kinder, die diesen Exodus miterleben mussten, bei der Gedenkveranstaltung verlesen wurden.

Kurz unterhalb des Passes ist eine Gedenktafel angebracht, die an allen Tagen auf die hier beschriebenen Geschehnisse hinweist:

Per questo colle, nel settembre 1943, centinaia di ebrei di tutte europa cercarono molti invano la salvezza dalla persecuzione antisemita. Tu che passi libero ricorda che questo è stato ogni volta che accetti che un altro abbia meno diritti di te.“

Im September 1943 versuchten hunderte von Juden aus ganz Europa, häufig vergeblich, sich über diesen Pass vor der antisemitischen Verfolgung zu retten. Du, der Du Dich frei bewegen kannst, bedenke, dass das geschehen ist, immer wenn Du toleriert hast, dass jemand anderes nicht die gleichen Rechte hatte wie Du.

Sabine Bade & Wolfram Mikuteit

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Navette nach Madone de Fenestre und Le Boréon

… und Rando-bus pour gagner le Mercantour!

Mit öffentlichen Verkehrsmitteln ist Saint-Martin-Vésubie von Nizza aus stets gut – und preiswert obendrein – zu erreichen. Aber von dort aus in die nur ca. 12 km entfernte Kernzone des Parc National du Mercantour und damit an Ausgangsorte für attraktive Tagestouren zu gelangen, gestaltete sich bisher mühsam. Wer nach Madone de Fenestre oder Le Boréon wollte, war gezwungen entweder ein Taxi zu nehmen oder sein Glück beim Autostopp zu suchen.

Madone de Fenestre

Mondone de Fenestre - Zeichnung von E.T. Compton Madone de Fenestre – Zeichnung von E.T. Compton

Bis 31. August werden jetzt Shuttlebusse zu diesen Zielen eingesetzt.

Nach Madone de Fenestre :
Täglich 8.30 Uhr; 11.30 Uhr; 13.30 Uhr
Zurück nach Saint-Martin-Vésubie:
Täglich 14.00 Uhr und 16.00 Uhr.
Preis für die einfache Fahrt: 1€.

Nach Le Boréon:
Täglich 8.30 Uhr; 9.30; 11.30
Zurück nach Saint-Martin-Vésubie:
Täglich 14.15 Uhr und 16.15 Uhr.
Preis für die einfache Fahrt: 1€.

Zusätzlich hat das Département Alpes-Maritimes auf Initiative von Mountain Wilderness France für den Sommer den Fahrplan der Buslinie 730 Nizza – Saint-Martin-Vésubie modifiziert: Bis zum 31. August verkehrt täglich ein weiteres Buspaar.
Abfahrt Nizza Busbahnhof (Gare Routière): 7.00 Uhr
Abfahrt Saint-Martin-Vésubie: 17 Uhr.
Der Preis für die Hin- und Rückfahrt beträgt 5€ und umfasst auch die direkte Weiterfahrt nach Madone de Fenestre/ Le Boréon. Der Name dieses Sommer-Specials ist „Rando-bus pour gagner le Mercantour“.

Bequem und gänzlich autofrei kann man so beispielsweise von der Sanctuaire de la Madone de Fenestre am Fuße der  Cime du Gélas eine einfache Rundwanderung über Pas des Ladres und Pas de Fenestre machen. Und dabei auf 2.474 m Höhe einen Blick hinüber nach Italien werfen: am Scheitelpunkt einer der historischen Salzstraßen zwischen Provence und Poebene trifft man in aller Regel viele Steinböcke an (Dauer: ca. 3.30 Std.).
Oder man wandert von Le Boréon aus auf dem „Circuit de Trécolpas“, was obendrein etwa zur Halbzeit am sehr netten Refuge de Cougourde vorbeiführt (Dauer: ca. 4.30 Std.). Oder, oder, oder ….

Sabine Bade & Wolfram Mikuteit

 

 

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Refuge de Nice nach Umbau ab Mitte Juli wieder geöffnet

Nach Auskunft des CAF de Nice-Mercantour wird das Refuge de Nice, das seit 2006 wegen Totalrenovierung geschlossen blieb, am 15. Juli 2009 wieder geöffnet.

Damit steht dann im oberen Vésubietal (Haute Gordolasque) entlang des Roten Weges der Via Alpina wieder eine Übernachtungsmöglichkeit zur Verfügung – vorbei also die Zeiten, in denen all jene Wanderer, die nicht als Selbstversorger unterwegs waren, vom Refuge de la Madone de Fenestre (Etappe R145) gleich bis zum Refuge de Valmasque weitergehen mussten.

Das alte Haupthaus  ist erhalten geblieben und wurde in den neuen Anbau integriert – der Gesamtkomplex ist damit kaum wiederzuerkennen.
Refuge de Nice-Chevalier de Cessole Gleich daneben und in seiner ursprünglichen Form seit über 100 Jahren vollkommen erhalten geblieben ist hingegen das älteste Refuge des Départements Alpes-Maritimes, das im Jahr 2002   nach Victor de Cessole benannt wurde.  Nach dem Mann, der die Sektion Alpes- Maritimes des französischen Alpenvereins (CAF) geprägt hat wie kein anderer: seit 1889 Mitglied im erst spät (1874) gegründeten französischen Alpenverein, war er von 1900 bis 1932 Präsident der Sektion Alpes-Maritimes, regte den Bau von Schutzhütten an, veröffentlichte so viel über seine Wanderungen, dass diese Schriften heute eine ganze Bibliothek im Palais Massena in Nizza füllen, und tat viel dafür, anderen Menschen seine Liebe für die heimatlichen Berge zu vermitteln.

cessole2Weil wir durchaus auch in neueren Wanderführern immer wieder von einem hochkomplizierten schriftlichen Anmeldeprocedere für die Hütten im Mercantour lesen – das eher abschreckt als zu Wanderungen in dieser Region einlädt – weisen wir hier nochmals darauf hin, dass schon lange die Möglichkeit besteht, eine Reservierung über das Internet durchzuführen!

Unter www.cafresa.org kann man sich den Belegungsplan der einzelnen Hütten anschauen und anschließend  online eine Reservierung vornehmen. Die pro Person/ Übernachtung fällige Anzahlung von 10 Euro wird über Kreditkarte abgewickelt, und kurz darauf erhält man via E-Mail eine Reservierungsbestätigung.

Außerhalb der französischen Ferienzeit (Mitte Juli bis Ende August) hatten wir zudem noch nie Probleme, uns erst am Morgen für den jeweiligen Abend anzukündigen.

Sabine Bade & Wolfram Mikuteit

Siehe auch:
Durchaus vorhanden – attraktive Übernachtungsmöglichkeiten im Mercantour

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Le Clézio, ein fliehender Stern und die Seealpen

clezio Als dem Franzosen Jean-Marie Gustave Le Clézio im Oktober 2008 der Literaturnobelpreis verliehen wurde, sagte er: „Der Schriftsteller besitzt schon seit einiger Zeit nicht mehr die Überheblichkeit zu glauben, dass er die Welt verändert und mit seinen Kurzgeschichten, seinen Romanen ein besseres  Lebensmodell schafft. Heute will er nur noch Zeuge sein.“
Nur noch? Ereignisse zu „bezeugen“, die sonst in Vergessenheit gerieten, ist ja nicht der schlechteste Anspruch. Aber wir wollen uns hier nicht aufs glatte Eis der Literaturkritik begeben (Marcel Reich-Ranicki kannte Le Clézios Bücher vor der Entscheidung des Nobelpreiskomitees nicht, Sigrid Löffler fand eben diese „bizarr“), sondern lediglich davon berichten, dass Le Clézio in seinem Buch ‚Fliehender Stern‘ (*) auf den ersten 145 (von 377) Seiten jene Geschichte erzählt, von der wir hier berichtet haben:

Von März bis September 1943 hatte eine Gruppe von Juden unterschiedlichster Nationalitäten in Saint-Martin de Vésubie  Zuflucht gefunden und suchte, da die Deutschen von Süden Col de Fenestre - Grenze heute vorrückten, einen Weg nach Italien. Ihre Hoffnung – mittlerweile war Mussolini abgesetzt und am 8. September der italienische Waffenstillstand erklärt – mit dem beschwerlichen Weg über den Col de Fenestre oder alternativ den Col de Ciriega und weiter über Entracque und Borgo San Dalmazzo in die Freiheit zu gelangen, trog: die Deutschen marschierten am 12. September auch in diese Region ein und besetzten die italienischen Stellungen. Die Flüchtlinge – insgesamt circa 300 Familien – wurden von den Deutschen auf Basis der von Mussolini 1938 erlassenen ‚Rasse-Gesetze‘ festgenommen und in Borgo San Dalmazzo inhaftiert.

Le Clézio erzählt diese Geschichte aus der Sicht des Mädchens Esther, die dem Schicksal entgangen ist, in Borgo San Dalmazzo in Güterwaggons gepfercht und in das Konzentrationslager Auschwitz transportiert zu werden, wo 311 Menschen dieser Fluchtgruppe ermordet wurden – worauf heute das ‚Memoriale della Deportazione‘ hinweist.

Memoriale della Deportazione

Wer das Buch mitnimmt auf eine Wanderung auf dem ‚Percorso Ebraici‘ von Madone de Fenestre ins Gessotal, wird einige wenige geografische Ungenauigkeiten darin entdecken (die französisch-italienische Grenze verlief beispielsweise 1943 noch nicht genau auf der Passlinie) und auch feststellen, dass Le Clézio – es handelt sich schließlich um einen Roman und keinen Tatsachenbericht – die zweimonatige Phase, in der die Fluchtgruppe in San Dalmazzo im Campo di Concentramento eingesperrt war, ausgelassen hat. Was der Eindringlichkeit des Romans allerdings nicht den geringsten Abbruch tut.

Sabine Bade & Wolfram Mikuteit

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J.M.G. Le Clézio: Fliehender Stern, Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2008, ISBN: 978-3-462-04118-7.
Im Original: ‚Étoile errante‘, erschienen 1992 bei Gallimard

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