Gedenkorte in Italien und Frankreich

Wenn wir in unsere bewusst knapp gehaltene Linkliste – das Schielen auf ‚Klickraten’ überlassen wir gerne Anderen – neue Einträge aufnehmen, ist uns das eine Meldung wert. Das Internetportal „Gedenkorte Europa“ bietet einen interessanten Wegweiser zu Orten in Italien und Frankreich, in denen an die Besetzung durch Nazi-Deutschland, an Lager, Deportationen, Zwangsarbeit, Massaker an der Zivilbevölkerung und den Widerstand durch französische Résistance und italienische Resistenza erinnert wird.

Goethe hatte recht: Man sieht nur, was man weiß
Auf der Gardetta-Hochebene sind wir Anfang der 1990er-Jahre auf über 2.000 Metern Höhe erstmals gestolpert: Über ein großes Eisenkreuz mit einer Inschrift zum Gedenken an die Gebrüder Renato und Vincenzo Stasi, „Vittimi innocenti della violenza nazista, uccisi in questo luogo il 21 agosto 1944“.

Da halfen weder leidlich gute Schulbildung noch ein langes Studium. Unser erster Impuls war: „Was hatten denn die Nazis auf dieser Wiese zu suchen?“

Im Piemont, wie auch im übrigen Italien, sind ‚Stolpersteine‘ zur Erinnerung an die Opfer der NS-Zeit nicht in den Boden eingelassen und auch deutlich größer als bei uns. Sie sind unübersehbar und bedienen sich einer ganz unverblümten Sprache. Was allerdings nichts daran ändert, dass sich bei einmal gewecktem Interesse die Suche nach Hintergrundinformationen über die jeweiligen Ereignisse sehr schwierig gestaltet.

Wir wollten nicht nur erfahren, was geschehen war in diesen 20 Monaten zwischen September 1943 und Ende April 1945, sondern auch aus welchen Beweggründen sich Menschen ganz unterschiedlicher politischer Couleur zusammengeschlossen hatten, um gegen deutsche Besatzung und italienischen Faschismus und für einen radikalen Wandel in ihrem Land zu kämpfen. Bis sich aus all den Mosaiksteinen, die wir unterwegs auf unseren Touren fanden – in kleinen Buchläden vor Ort und in großen Archiven in Deutschland – ein zusammenhängendes Bild ergab. Für die Alpenregion zwischen Gran Paradiso und Monviso – irgendwo mussten wir schließlich anfangen und haben uns für die piemontesische Provinz Turin entschieden – haben wir mit „Partisanenpfade im Piemont das Buch geschrieben, das wir selbst vor über 20 Jahren bei unseren ersten Wanderungen gern dabeigehabt hätten.

Für andere Gebiete der Westalpen, für das Aostatal, Ligurien, die französischen Regionen Provence-Alpes-Côte d’Azur und Rhône-Alpes wie auch andere Provinzen des Piemonts verweisen wir nun (zunächst) auf das neue Gedenkorte-Portal des Studienkreises Deutscher Widerstand.

Neues Internetportal zu Orten von NS-Verbrechen und Widerstand
Mit dem Internetportal gedenkorte-europa.eu will der in Frankfurt am Main ansässige, 1967 von Martin Niemöller, Wolfgang Abendroth und anderen gegründete Studienkreis Deutscher Widerstand 1933-1945 e.V. an die Geschichte der Besatzung und des Widerstands in Europa während der Nazi-Diktatur erinnern und zu Besuchen der Gedenkorte anregen, die Wege dorthin aufzeigen und erste Informationen anbieten.

Mehr als 700 Gedenkstätten in Frankreich und Italien umfasst das Portal bereits, das seit Ende Januar 2013 – punktgenau zum Gedenken an den 80. Jahrestag der Machtübernahme durch die NSDAP – zur Verfügung steht: Neben auch bei uns bekannten Orten wie Marzabotto, den Ardeatinischen Höhlen, Sant’Anna di Stazzema und Oradour-sur-Glane, Lagern wie Drancy, Gurs, Fossoli und Bozen sind es vor allem kleinere Orte, die in keinem Reiseführer erwähnt werden. Gegliedert nach Staat und Regionen wird zu jedem der aufgeführten Gedenkorte über die Geschehnisse und das Gedenken daran vor Ort informiert. Google-Maps-Karten erleichtern nicht nur die Anfahrt sondern auch das Auffinden von Museen, Monumenten, Gedenksteinen für Opfer des Widerstands und Hinweistafeln auf Verbrechen der Besatzungsmacht.

Einführungen zu den Regionen, Sachstichworte wie z. B. Kollaboration, Judenverfolgung, Partisanenbekämpfung, Maquis oder Frauen im Widerstand bietet das Portal ebenso wie viele Kurzporträts von Tätern/ Faschisten (u.a. Kesselring, Rommel, Engel, Barbie und Best) und Opfern/ Widerständlern wie Duccio Galimberti, Primo Levi, Jean Moulin, Lucie Aubrac und vielen anderen. Fotos und Wegbeschreibungen, Literatur- und Medienhinweise ergänzen die Texte.

Gedenkorte Europa 1933 - 1945

Punkte auf der Landkarte für Geschichte, die in Reiseführern fehlt
Dass es in Borgo San Dalmazzo ein Konzentrationslager gab, wissen Leser unseres Blogs. Auch über die Stolpersteine entlang des ‚Tracce del ricordo‘ in Saluzzo haben wir hier bereits berichtet. Über Boves,  wo deutsche Truppen bereits in den ersten Besatzungstagen mit brutalen Vergeltungsmaßnahmen auf Widerstand antworteten und den Ort zu einem „Archetyp späterer Blutbäder“ (Lutz Klinkhammer) machten, informiert das Gedenkorte-Portal. Weist in Cuneo den Weg zum Parco della Resistenza und der Casa Galimberti und zeigt auf, wie die Fondazione Nuto Revelli aus der verlassenen Sommersiedlung Paralup im Sturatal einen sehr ambitionierten Ort der Erinnerung geschaffen hat.

Aber auch bei Städten abseits der Westalpenregion, die wir gut zu kennen glaubten, werden wir durch das Gedenkorte-Portal auf Orte und Plätze hingewiesen, die uns bisher nie aufgefallen sind. Ein etwas anderer Blick auf Côte d’Azur, Toskana, Korsika und Rom.

Sabine Bade

Mitglied der Redaktion von gedenkorte-europa.eu

 

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Eingeordnet unter abseits des Weges, Gedächtnis der Alpen, Links, Resistenza

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