Archiv der Kategorie: Royatal

Unwetter verwüsten Roya-, Tinée- und Vésubietal

von Markus Golletz – motorradreisefuehrer.de

Piemont-Ligurien: Abgebrochene Straße

Piemont – Ligurien: abgebrochene Straße, Foto: Markus Golletz

Tenda-Tunnel, Royatal, Vésubie & Tinée:

Schwere Unwetter mit starken Wassermassen haben am 2./3.10.2020 am Ligurischen Grenzkamm und in den Französischen Seealpen starke Schäden hinterlassen. Das Royatal durchzieht nun eine Spur der Verwüstung, die Straße wurde mehrfach unterbrochen, vieles weggespült: Auch die südliche Abfahrt der Via del Sale (LGKS) und die Tunnelbaustelle für die zweite Röhre sind schwer beschädigt. An der Roia-Mündung waren bei Ventimigilia riesige Mengen an Schlamm sichtbar. Es werden noch mehrere Menschen vermisst. Weiterlesen

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Das obere Roytal – seit 70 Jahren französisch

„In einem vereinten Europa sollten derartige Jahrestage heute keine Rolle mehr spielen“, schrieben wir vor 10 Jahren in unserem Artikel zum 60. Jahrestag des ‚Rattachments‘, der  Abtretung des oberen Royatals an Frankreich am 17. September 1947.

Und dennoch mutete es nun etwas merkwürdig an, als es im Jahr 2017 wirklich (fast) keine Rolle mehr spielte.

Keine großen Plakate, kein symbolisches Hissen der Trikolore, kein Fest aus Anlass des Jahrestages: Im kleinen Städtchen Tende wies lediglich ein handgeschriebenes Schild auf die Eröffnung einer Ausstellung mit über 500 Exponaten, die der Lokalhistoriker Armand Oliviero über die Jahrzehnte zum Rattachment gesammelt hat. Diese einzigartige Sammlung mit allen Dokumenten und Fotografien steht nun zum Verkauf. Auch das in Breil-sur-Roya herausgegebene Journal „Le Haut Pays“, stets reich bebildert mit historischen Aufnahmen aus der Collection Armand Olivero, erscheint nur noch sporadisch. Das Interesse an diesem Stück Geschichte scheint versiegt.

Trotzdem nehmen wir dieses Thema hier nochmals auf, denn: Hätten wir bei unseren ersten Wanderungen in dieser Gegend bereits gewusst, was es bedeutete, dass das Gebiet noch so lange zu Italien gehört hat und wie heiß umkämpft es noch war, als in Paris bereits seit 8 Monaten Frieden herrschte, hätten uns manche Phänomene entlang unserer Wege weniger Rätsel aufgegeben.

 

Wie das obere Royatal französisch wurde

1860 trat das Königreich Piemont-Sardinien Savoyen und damit auch die Grafschaft Nizza an Frankreich ab, um sich für dessen Unterstützung bei der Einigung Italiens zu revanchieren. Zu diesem Gebiet hätte auch das obere Royatal gehört, wurde aber, um die Poebene strategisch absichern zu können, bei dieser Abtretung ausgeklammert. Gegen den ausdrücklichen Wunsch der Bevölkerung, die sich bei dem vorausgegangenen Plebiszit – ein Instrument, das damals den royalen Machtpoker legitimieren sollte – mit überwältigender Mehrheit für den Beitritt zu Frankreich aussprach, um nicht in eine vollkommen isolierte Lage zu geraten.  Das Abstimmungsergebnis wurde allerdings ignoriert, die Grenze mitten durch das Tal gezogen, Familien auseinandergerissen und traditionelle Weidegebiete zerschnitten. Das obere Royatal (wie auch schmale Gebietsstreifen um die Pässe Fenestre, Cerise, Fremamorta und Lombarde) blieben bei Italien.

zweisprachiger Aufruf für den Anschluss an Frankreich - Kollektion Armand Oliviero

Nachkommen der Familien, die damals als Reaktion auf die neue Grenzziehung ihre Heimat verließen und nach Frankreich umsiedelten – was ja im konkreten Fall manchmal nur Fontan, Saorge oder Breil hieß – bildeten später ein starkes Sammelbecken für die Idee der Angliederung des Tales an Frankreich. Dass sich nach der Absetzung Napoleon III. die Situation zwischen Italien und Frankreich zunehmend verschärfte, dass die Grenze zu den ‚Feinden‘ im Süden mit den Forts am Col de Tende gesichert und damit ein Klima erzeugt wurde, das den Gefühlen der Bevölkerung so gar nicht entsprach, machte die Sache nicht besser. Dafür wurde mit der Eröffnung des Tendetunnels (1882) und der Eisenbahnlinie (1913) die geografische Isolation vom Mutterland verringert.

Da Frankreich und Italien im 1. Weltkrieg auf gleicher Seite kämpften, blieb die Region von Kampfhandlungen verschont, und auch danach gab es durchaus Phasen, in denen mit Sonderregelungen der kleine Grenzverkehr erleichtert wurde. Was sich änderte, als Mussolini vor dem zweiten Weltkrieg das obere Royatal mit weiteren Festungsanlagen an strategisch wichtigen Punkten überzog und zu deren Versorgung ein gigantisches Militärstraßensystem baute. Die Pläne sahen unter anderem vor, die Pisten im Val Valmasque und Val d’Enfer – mitten durch das Vallée des Merveilles – miteinander zu verbinden.

es lebe das französische Tende - Foto: © Wolfram Mikuteit

es lebe das französische Tende – Avenue Georges Bidault -Foto: © Wolfram Mikuteit, Aufnahme vom September 2017

Als Mussolini Frankreich im Juni 1940 überfiel, wurden Heerscharen von Saisonarbeitern, die Sommer für Sommer an der Côte d’Azur in Hotels und Gaststätten arbeiteten, von der Schließung der Grenzen überrascht und durften nicht mehr heimkehren. Genauso erging es den Schäfern, die sich mit ihren Herden wie gewohnt auf den französischen Weiden befanden, als der Krieg ausbrach.

Terre Françaises - Kollektion Armand Oliviero

Forderung nach Rückgabe an Frankreich der seit 1860 italienischen Gebiete – Kollektion Armand Oliviero

Hitlers Angriffskrieg gegen die UdSSR, zu dessen Unterstützung Mussolini Hunderttausende schickte, die den Sinn dieses Krieges weder verstanden noch mittrugen, die Besetzung des Royatales durch die Deutsche Wehrmacht, die erbarmungslose Jagd auf Partisanen (zu denen viele jener Soldaten überliefen, die noch vor dem Einmarsch der Deutschen desertieren konnten), Deportationen und Repressalien gegen die Zivilbevölkerung, immer unterstützt von italienischen Einheiten, lieferten der Bewegung neuen Zulauf. 1943 wurde das ‚comité d’action en vue du rattachment du Tende et La Brigue à la France‘ gegründet.

Die Auseinandersetzungen um die Zukunft des Tales machte auch vor den Reihen der Partisanen nicht halt. ‚In die Berge‘ gegangen waren die Männer, um Zwangsrekrutierung oder Deportationen zu entgehen. Der antifaschistische Widerstand vereinigte sie – aber zu Spannungen kam es dort, wo divergierende Ziele für die Nachkriegszeit aufeinanderstießen: die auf nationalen italienischen Befreiungskampf ausgerichtete Partisanenbewegung brachte den ‚separatistischen‘ Bestrebungen der Menschen aus dem oberen Royatal wenig Begeisterung entgegen. Eine Eskalation der Auseinandersetzungen konnte nur wegen der Abhängigkeit von der Unterstützung der ‚Gaullisten‘ und Alliierten verhindert werden.

Zwei Tage nach der Befreiung durch französische Truppen am 26. April 1945 brachte ein Konvoi 320 Bewohner aus ihrem Zwangsexil an der Küste in ihre Heimatgemeinden zurück. Und bereits einen Tag später organisierte das Komitée für das Rattachment eine Befragung der Bevölkerung, in der sich 1869 Personen für die Angliederung an Frankreich aussprachen.

Vive La Republique Française - Foto: © Wolfram Mikuteit

Vive La Republique Française – Tende – Avenue Georges Bidault N° 62 – Foto: © Wolfram Mikuteit, Aufnahme vom September 2017

Zunächst aber mussten auf Druck der Alliierten die französischen Einheiten am 10. Juli 1945 das Gebiet wieder verlassen – und erneut besetzten Italiener Administration und Schlüsselpositionen zur Aufrechterhaltung von ‚Recht und Ordnung‘.

Auf Drängen von Bevölkerung und französischer Regierung installierten die Alliierten im Mai 1946 eine Untersuchungskommission, die das politische Klima ausloten sollte. Als Ergebnis der Kommissionsarbeit wurde die Möglichkeit der Gebietsabtretung erstmals offziell festgeschrieben – jedoch nur unter der Bedingung, dass sich die Mehrheit der Bevölkerung dafür ausspräche.

JA oder NEIN - Stimmzettel - Kollektion Armand Oliviero

Damit war die Grundlage für das Rattachment gelegt, niemand zweifelte am positiven Votum. Im Friedensvertrag zwischen Frankreich und Italien, am 10. Februar 1947 in Paris unterzeichnet, wurden die Grenzen neu festgelegt. Neben den vier Orten im Royatal (Tende und La Brigue im Norden, Libre und Piena im Süden) fielen auch die Passgebiete an Frankreich, die bei der Abtretung Savoyens 1860 ausgespart worden waren. Als offizieller Termin wurde der 17. September 1947 angesetzt – die Tricolore wurde bereits einen Tag vorher gehisst.

Das Plebiszit, das diese Grenzziehung endgültig legitimierte, fand am 12. Oktober 1947 statt.

 

Sabine Bade & Wolfram Mikuteit

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Ligurische Grenzkammstraße – montags und dienstags Wanderern und MTBlern vorbehalten

Vor vier Jahren haben wir in einem offenen Brief an Markus Golletz  aufgezeigt, was unserer Ansicht nach das Verhältnis von Wanderern und motorisierten Nutzern der alten Militärstraßen im italienisch-französischen Grenzgebiet verbessern würde:

Es „wäre wünschenswert – und würde das Verhältnis zwischen motorisierten und unmotorisierten Nutzern dieser Straßen sofort befrieden – wenn in allen Sommermonaten bestimmte Wochentage ausschließlich Wanderern, Mountainbikern und Reitern vorbehalten wären. Die dann ohne Motorengeräusche an diesen Tagen eventuell auch die Möglichkeit hätten, das eine oder andere etwas scheuere Tier zu sehen – oder schlicht in aller Ruhe einmal ohne Zivilisationsgeräusche nur das Panorama genießen könnten.

Wenn derartige Regelungen frühzeitig und mehrsprachig kommuniziert und auch nicht Jahr für Jahr geändert werden, sehen wir nicht, warum ein konfliktfreies Verhältnis zwischen Wanderern und Bikern nicht möglich sein sollte!

Seit Anfang Juli 2016 ist dies auf der Strecke zwischen dem Colle di Tenda und Monesi entlang des italienisch-französischen Grenzkamms jetzt Realität geworden:

Bis Ende September ist die Straße montags und dienstags für den motorisierten Verkehr gesperrt. An allen anderen Tagen wird auf der strada ex militare Limone-Monesi – die im deutschen Sprachraum als „Ligurische Grenzkammstraße“ bezeichnet wird – die Zahl der Fahrzeuge begrenzt und eine Maut für Kraftfahrzeuge, Motorräder und Quads erhoben.

Vorangegangen waren umfangreiche, auch mit EU-Mitteln finanzierte Straßenausbesserungsarbeiten. Auf der Projektseite können die Reglementierungen nachgelesen und ein GPS-Track des Streckenabschnitts „Col de Tende – Monesi“ heruntergeladen werden.

Einen kleinen Wunsch hätten wir aber noch: Eine ähnliche Regelung für den südlichen – aussichtsreichsten und daher für Wanderer attraktivsten – Streckenabschnitt zwischen Passo Tanarello, Monte Saccarello und Colla Melosa.

Sabine Bade & Wolfram Mikuteit

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Royatal: „Tal des Zorns – Widerstand in Frankreichs Alpenwelt“

Der Titel des Films „Tal des Zorns – Widerstand in Frankreichs Alpenwelt“ von Mathias Werth, den die ARD morgen ausstrahlt, ließ uns zunächst an das Megaprojekt der im Bau befindlichen und von vielen Protesten begleiteten Hochgeschwindigkeits-Eisenbahnverbindung zwischen Turin und Lyon denken, über das wir immer wieder und von Zeit zu Zeit auch deutschsprachige Medien berichten.

Tal des Zorns – Widerstand in Frankreichs Alpenwelt
ARD, Samstag, 24. Oktober 2015, 16.30 – 17.00 Uhr
Autor: Mathias Wert

Stattdessen hat sich der Autor eines ganz anderen Themas angenommen und berichtet über das südfranzösische Royatal. In den Mittelpunkt seiner Reportage stellt er das, was die Talbevölkerung seit vielen Jahren schwer bewegt: Die sukzessive Ausdünnung des Fahrplans der das Tal durchziehenden Tenda-Eisenbahnlinie zugunsten des Ausbaus der Straßenverbindung zur „Rennstrecke für Lastwagen“.

Wir haben in den letzten Jahren immer wieder über die Tenda-Bahn berichtet, diese spektakuläre Bahnverbindung zwischen Cuneo im Norden und Ventimiglia im Süden, die als „Zug der Wunder“ auch ein stückweit durch Frankreich verläuft. Vor zwei Jahren anlässlich der Feierlichkeiten zum 100. Geburtstag – am 7. September 1913 erreichte der erste Zug den Bahnhof von Tende – haben wir auch darauf hingewiesen, dass dieses Jubiläum von der Angst getrübt war, dass diese Linie über kurz oder lang endgültig stillgelegt wird. Und selbstverständlich unterzeichneten wir die Online-Petition, die unter dem sehr frei übersetzten Motto “Hände weg von der Linie Cuneo – Ventimiglia” aufgesetzt war. Für die Bewohner des Royatals ist diese Eisenbahnlinie ihre Lebensader schlechthin: „Wir wollen schließlich nicht erleben, dass auf dieser Strecke nur noch alle Jubeljahre ein Touri-Zug unterwegs ist, wie ihn die Association du Train Touristique du Centre-Var am 12. Oktober von Toulon nach Tende unter dem Motto „Train des Merveilles – Rétro“ auf die Reise schickt. Nichts gegen „Retro“ – aber wenn es sich um öffentliche Verkehrsmittel handelt, können wir auf diesen Trend gut verzichten.“

Daran hat sich bis heute nichts verändert. Sodass wir sehr gespannt darauf sind, welche Meinungen Mathias Werth im Royatal eingefangen hat. Auch darauf, welche Ängste die Menschen mit dem Bau der zweiten Röhre des ältesten Straßentunnels der Alpen verbinden. Als wir im Jahr 2007 über die Pläne berichteten, dachten wir nicht im Traum daran, dass damit die sukzessive Aufgabe der Tenda-Linie einhergehen könnte.

Sabine Bade & Wolfram Mikuteit

 

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Fahrplan Tendabahn 2014

Seit dem 15. Dezember 2013 gilt ein neuer Fahrplan für die alpenquerende Tenda-Eisenbahnlinie zwischen Cuneo und Ventimglia.

Bereits mit dem letzten Fahrplanwechsel Ende 2012 war es zu einer ersten Ausdünnung des Fahrplans und zur Stilllegung der Bahnhöfe zwischen Breil-sur-Roya und Ventimiglia gekommen. Seidem reißt zwar der Protest gegen diese Maßnahmen nicht ab – die betroffenen Gemeinden entlang dieser über 100 Jahre alten Traditionslinie befürchten zurecht, dass ihr wie vielen anderen lokalen Eisenbahnlinien die Stilllegung droht -, brachte bisher aber noch keine Erfolge.

Das Gegenteil ist der Fall: Mit dem aktuellen Fahrplan vom Dezember 2013 gibt es nur noch zwei tägliche Zugverbindungen zwischen Cuneo und Ventimiglia. Alle anderen von Norden kommenden Züge enden kurz vor der italienisch-französischen Grenze in Limone Piemonte.

Hier der Fahrplan zum Download

Ob es wirklich nur darum geht, die Kosten für den Unterhalt dieser Strecke zwischen den betroffenen Regionen anders zu verteilen – seit 1970 finanziert Italien die grenzüberschreitende Tendabahn alleine – oder die Stilllegung längst insgeheim beschlossen ist, bleibt schwer auszumachen.

Tatsache bleibt, dass der Status Quo anmutet wie nach einem Zeitsprung in die Mitte des 18. Jahrhunderts, als die Alpen noch ein schwer überwindbares Hindernis darstellten:

Abgesehen von den zwei täglich den Alpenhauptkamm unterquerenden Zugpaaren enden alle von Norden kommenden Züge in Limone Piemonte, alle von Süden kommenden Züge im französischen Tende.

1766 beschrieb der schottische Arzt und Reiseschriftsteller Tobias Smollett seine beschwerliche Reise über den Col de Tende in seinen „Journeys through France and Italy“: „Es gibt nur zwei Möglichkeiten, von Nizza aus den Weg über die Berge zu bewältigen; die eine besteht darin, auf dem Maultier zu reiten und die andere, sich in einer Sänfte tragen zu lassen.“

Sabine Bade & Wolfram Mikuteit

 

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