Zug der Wunder – die Tendabahn

Wenn über die alpenquerende Tenda-Eisenbahnlinie, die nicht nur wir für eine der interessantesten Bahnen im gesamten Alpenraum halten, im TV berichtet wird, muss uns das natürlich einen Tipp wert sein. Und auch ein paar zusätzliche praktische Hinweise, damit eine Fahrt mit dieser Bahn auch wirklich zum Erlebnis wird.

Zug der Wunder – von Nizza in die Seealpen
Eisenbahnromantik, Folge 653
HR,  Dienstag, 19. August 2008 – 16.30 Uhr

Der ‚Train des Merveilles‘ startet jeden Morgen um 9 Uhr in Nizza und erreicht nach einer spektakulären Fahrt durch Peillon-, Bévéra- und  Royatal Tende, den kleinen Ort kurz vor der italienischen Grenze, der als Tor zum ‚Vallée des Merveilles‘ im Mercantour Nationalpark gilt (ein Image, das der kleine Ort unverkrampft und ohne Schaden zu nehmen sehr gut verkraftet hat!).
Womit zunächst geklärt wäre, woher der ‚Train des Merveilles‘ seinen Namen hat: die bisher aufgefundenen über 50.000 bronzezeitlichen Piktogramme rund um den Mont Bégo stellen nach dem Val Camonica die zweitgrößte Fundstelle im gesamten Alpenraum dar und können deshalb mit Fug und Recht als ein ‚Wunder‘ bezeichnet werden.

bronzezeitliches Piktogramm im Vallée des Merveilles
Bronzezeitliches Piktogramm im Vallée des Merveilles – eines von 50.000

Dass von diesem Ruhm etwas auf den Zug von Nizza nach Tende abfallen soll, ist unter Werbegesichtspunkten natürlich verständlich, allein – diese Bahnlinie, besser: wie sie realisiert wurde und dass sie heute noch besteht, ist für sich allein genommen bereits ein kleines Wunder!
Als 1851 erste Pläne für eine Bahnverbindung zwischen Turin und Nizza evaluiert wurden, gehörte Nizza noch zum Königreich Sardinien-Piemont. Eine Inlandsverbindung also, die die Hauptstadt mit dem Meer verbinden sollte – wobei die technische Schwierigkeit, den Alpenhauptkamm zu überwinden, das einzige, jedoch gewaltige Probem darstellte. Aber die Überwindung von 1000 Höhenmetern auf einer nur sehr kurzen Strecke sind eine ‚Kleinigkeit‘ im Gegensatz zu den diplomatischen Verwicklungen, die den Bau der Linie hemmten, nachdem im Jahr 1860 die Grafschaft Nizza an Frankreich abgetreten worden war – und eine zwischenstaatliche Lösung zwischen dem neugegründeten Italien und Frankreich gefunden werden mußte!
Für Italien war die geplante Linie nicht nur verkehrstechnisch sondern auch aus strategischen Gründen von großer Bedeutung, um die jenseits des Alpenkammes gelegenen Ortschaften Tenda und Briga (La Brigue) zu erschließen. Die benötigten Kredite wurden also bewilligt, der Ingenieur Sebastiano Grandis, der bereits an den Studien zum Fréjus-Tunnel mitgearbeitet hatte, mit der Bauleitung beauftragt, und bereits 1887 konnte der erste Streckenabschnitt zwischen Cuneo und Robilante eröffnet werden. 1889 wurde mit dem schwierigen und von vielen Gerölleinbrüchen verzögerten Bau des Tendatunnels, damals höchstgelegener Eisenbahntunnel der Alpen, begonnen. Parallel dazu wurde die Strecke bis Limone verlängert, während Frankreich noch immer mit den Planungen rang: stets war auch das Kriegsministerium involviert, denn schließlich waren Italien und Frankreich nicht Verbündete, sondern gehörten unterschiedlichen, mit Kriegsvorbereitungen gegeneinander befassten Bündnissen an. Während Italien bereits eine rein italienische Lösung ins Auge fasste, für die jedoch ein zweiter alpenquerender Scheiteltunnel benötigt worden wäre, kam es schließlich 1904 zu einem italienisch-französischen Abkommen über den Verlauf der restlichen Strecke. Die Fertigstellung der Linie war für 1914 geplant.

Bahnhof Piene
Bahnhof Piene an der Tenda-Linie

Auf französischer Seite erhielt die Privatbahn „Paris – Lyon – Méditéranée“ (P.L.M.) die Konzession zum Betreiben der Linie. Deren Ingenieure Séjourne und Martinet sollten gerade im anspruchvollsten Streckenabschnitt zwischen Fontan und St-Dalmas ein technisches Meisterwerk vollbringen.
Der Ausbruch des 1. Weltkrieges vereitelte aber die Fertigstellung. Bereits verlegte Gleise wurden teilweise wieder demontiert und über noch betriebsfähige Strecken ratterten in dieser Zeit ausschließlich Militärtransporte an die Front nach Venetien.
Erst am 30.10.1928 konnten die durchgehende Verbindung zwischen Cuneo und Ventimiglia und auch die Nebenlinie Nizza – Breil eingeweiht werden. Wenig später wurden auch internationale Verbindungen (San Remo-Berlin und Nizza-Basel) eingerichtet. Mussolini hatte die Gelegenheit genutzt, mit monumentalen Bauwerken wie den Bahnhöfen in Cuneo und dem völlig überdimensionierten im kleinen Grenzort San Dalmazzo Zeichen nationaler Größe zu setzen.
Knapp zwölf Jahre lang wurde die Strecke befahren, bis am 10.6.1940 Italien an Deutschlands Seite Frankreich den Krieg erklärte. Als die Deutschen im Frühjahr 1945 endlich von den Alliierten durch das obere Royatal zurückgedrängt wurden, blieb ihnen noch genügend Zeit, eine Politik der ‚verbrannten Erde‘ anzuwenden: die meisten der Viadukte wurden zerstört.
Die zunächst für 1949 in Aussicht gestellte Wiederherstellung der durchgehenden  Strecke verzögerte sich, unter anderem wegen der im Friedensvertrag von Paris 1947 veranlassten Grenzkorrekturen, um annähernd 30 Jahre!
Die feierliche Wiedereröffnung der Tenda-Linie erfolgte am 6.10.1979.

Tende
Blick auf die Stadt Tende – Namensgeberin für die Linie

Praktische Infos:
Auf den Regionalbahnen der französischen Eisenbahngesellschaft SNCF im Département A-M wird auch in diesem Jahr wieder für die Zeit vom 1. Juli bis zum 30. September die ‚Carte Isabelle‘ angeboten. Es handelt sich dabei um eine Tageskarte, mit der man unbegrenzt die Strecken Nizza – Tende befahren kann (Preis 13 Euro).
Manchmal begleitet eine Reiseführerin den ‚Train des Merveilles‘, aber meist werden die Infos zu den Orten entlang der Strecke über Lautsprecher vermittelt.

Sabine Bade & Wolfram Mikuteit

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