NO TAV: Wieder über 1.000 neue Grundbesitzer im Susatal

Ein «Laboratorium der Basisdemokratie» nannte Marco Revelli von der Università degli Studi del Piemonte Orientale kürzlich das piemontesische Susatal. Er weiß, wovon er spricht, nicht nur als Politikwissenschaftler: Er gehörte zu den Protagonisten der Turiner StudentInnenbewegung und war auch an den großen Fiat-Streiks von 1980 beteiligt.

Die Ursprünge dieses «Laboratoriums» entstanden Ende der achtziger Jahre. Damals reifte bei den Behörden der Plan, durch das von einer Autobahn, Staatsstraßen und der TGV-Eisenbahnlinie bereits stark belastete enge Susatal zusätzlich eine Hochgeschwindigkeitslinie (Treno ad Alta Velocità,TAV) zwischen Turin und Lyon zu führen. Dafür ist einer der längsten Basistunnel im Alpenraum notwendig, mit dessen Bau auf die Bevölkerung eine nicht abschätzbare Schadstoffbelastung zukäme: Der Tunnel soll auch durch asbest- und uranhaltiges Gestein getrieben werden.

Hüttendörfer und Mahnwachen

Seit über zwanzig Jahren kämpft die Bevölkerung des Susatals zusammen mit lokalen PolitikerInnen und verschiedenen Umweltorganisationen gegen dieses unsinnige Großprojekt. Um die drohende Zerstörung ihres Tales zu verhindern, haben sich die TAV-GegnerInnen – flankiert von vielen WissenschaftlerInnen – ein breites Wissen aufgebaut. Sie verweisen auf die Möglichkeit, die bereits vorhandene Bahnlinie auszubauen; sie ließen Kosten-Nutzen-Analysen anfertigen und zeigten die langfristigen Folgen für Bevölkerung, Umwelt, lokale Betriebe und Tourismus auf; sie wandten sich an ihren Staatspräsidenten; und sie sammelten Unterschriften, die dem Petitionsausschuss der Europäischen Kommission in Straßburg übergeben wurden, da die EU das TAV-Projekt mitfinanziert.

Alle Entscheidungen der TAV-GegnerInnen werden in großen BürgerInnenversammlungen gefällt und im Konsens getragen. Übrigens nicht nach dem Sankt-Florians-Prinzip: Längst haben sie sich international vernetzt, arbeiten zusammen mit Initiativen aus Deutschland, Frankreich, dem Baskenland und England und waren (wir berichteten) Ausrichter des 1. Europäischen Forums gegen unnütze Großprojekte.

Die BewohnerInnen des Tals haben seit Beginn ihres Kampfes nicht nur jeden erdenklichen Weg durch die Institutionen beschritten. Sie waren auch sehr fantasievoll in ihren Aktionen: So haben sie überall im Tal Hüttendörfer und Mahnwachen errichtet. Und bereits dreimal haben sie an mutmaßlichen Einstichstellen für Erkundungsstollen – die BetreiberInnen nehmen laufend Änderungen an der geplanten Trassenführung vor – Grundstücksparzellen erworben, um sich damit bei den zu erwartenden Enteignungsverfahren unter dem Motto „compra un posto in prima fila“ in die erste Reihe zu stellen.

Korrekt enteignen

Ende Oktober fand nun die vierte NO-TAV-Landerwerbsaktion statt. Diesmal in Susa, nur einen Steinwurf entfernt von dem Areal, auf dem der neue internationale Bahnhof von Susa entstehen soll. Während landesweit immer mehr lokale – gerade für die PendlerInnen wichtige – Bahnstrecken stillgelegt werden, soll hier für 48,5 Millionen Euro nach den Plänen des japanischen Architekten Kengo Kuma ein Prachtbau für die TAV-Strecke errichtet werden, obwohl deren Trassenführung noch immer unklar ist. Erst im nächsten Jahr soll das Projekt von der italienisch-französischen Betreibergesellschaft LTF (Lyon Turin Ferroviaire) öffentlich vorgestellt werden.

Dass das umstrittene, allein für Italien über zehn Milliarden Euro teure Bauvorhaben nicht zur Disposition stehe, machte der ansonsten so sparfreudige Regierungschef Mario Monti gleich zu Beginn seiner Amtszeit klar. Und bekräftigte dies im September erneut bei einem Gipfel mit seinem französischen Amtskollegen François Hollande.

Und so fanden sich am 28. Oktober 2012 bei strömendem Regen über tausend Menschen ein, um vor einem Notar einen Eintrag ins Grundbuch vorzunehmen. Der Charme dieses Instruments aus dem «Laboratorium der Basisdemokratie» liegt in der Bildung einer einzigen EigentümerInnengemeinschaft mit möglichst vielen Mitgliedern. Denn enteignet werden kann schnell, doch jedes Mitglied muss schriftlich und vor allem korrekt darüber informiert werden. «Und wenn dabei auch nur ein Name verkehrt geschrieben wurde, wenn auch nur eine einzige Ziffer der Steuernummer falsch ist – dann ist die gesamte Enteignung ungültig», erläutert Alberto Perino, Sprecher der NO-TAV-Bewegung.

1056 Personen haben an jenem Tag persönlich oder per Procura die notarielle Urkunde unterzeichnet, zieht Perino am Abend dann das Fazit. Und fügt hinzu: «Ein weiteres Sandkorn, das ins Getriebe des TAV geworfen worden ist.»

Sabine Bade & Wolfram Mikuteit

 

 

2 Kommentare

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2 Antworten zu “NO TAV: Wieder über 1.000 neue Grundbesitzer im Susatal

  1. Reblogged this on Enough is Enough! und kommentierte:
    Alle Entscheidungen der TAV-GegnerInnen werden in großen BürgerInnenversammlungen gefällt und im Konsens getragen. Übrigens nicht nach dem Sankt-Florians-Prinzip: Längst haben sie sich international vernetzt, arbeiten zusammen mit Initiativen aus Deutschland, Frankreich, dem Baskenland und England und waren (wir berichteten) Ausrichter des 1. Europäischen Forums gegen unnütze Großprojekte.

  2. Vielen Dank für die interessante Zusammenfassung des unsinnigen TAV-Projekts im Susatal, die aktuelle Berichterstattung und die guten Fotos!! Am liebsten würd ich auch einen Quadratmeter im Susatal kaufen! Das 3. Forum gegen internationale Großprojekte wird im Juli 2013 in Stuttgart stattfinden! S21 saluta NoTav!

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