Der höchste und prägnanteste Gipfel des Susatales ist natürlich der Rocciamelone. Und zudem mit seinen 3.538 Metern auch der höchste Wallfahrtsort der Alpen.
Wenn es aber darum geht, welcher Berg in diesem Tal das kurioseste Aussehen hat – acht ‚Zähnchen‘ auf der abgeflachten Spitze – läuft dem weithin sichtbaren Mont Chaberton kein Berg der gesamten Region den Rang ab.
Auf einer Wanderung durch das Val Thuras, einem etwas abseits gelegenen sehr attraktiven Seitental der Dora Riparia, hatten wir ihn vor einigen Tagen sehr lange im Blick – Grund genug, endlich einmal über diesen Berg und sein von Menschen Hand geschaffenes Aussehen zu berichten.
Die Abdankung Napoléon III. im Jahr 1870, der oft als ‚Ziehvater‘ des italienischen Einigungsprozesses bezeichnet wird, und die nachfolgende Verschlechterung in den diplomatischen Beziehungen beider Länder zogen eine bisher nicht gekannte Aufrüstung entlang des Alpenhauptkammes nach sich. So wurden beispielsweise zwischen 1880 und 1890 die Forts am Col de Tende errichtet. Aber erst nachdem Italien 1882 dem Dreibund beigetreten war und sich so mit Deutschland und Österreich starke Verbündete gesichert hatte, reiften Pläne für den Bau einer Festungsanlage auf dem 3.130 Meter hohen Mont Chaberton.
die Baustelle im Jahr 1906
Von Fenils wurde ab 1891 eine 14 Kilometer lange Straße hinauf gebaut, die ‚Strada militare di Val Morino‘ (auch: Strada militare dello Chaberton), und danach erste Unterkünfte errichtet. Im Jahr 1898 wurde mit dem Bau der Anlage begonnen, in die zu Spitzenzeiten 400 Arbeiter einbezogen waren. Deren Versorgung erfolgte über eine aus Cesana heraufführende Materialseilbahn.
Der Gipfel wurde auf der Frankreich zugewandten Seite auf einer Fläche von 140 x 30 Metern abgeflacht und dahinter, sozusagen als Stufe ungefähr 15 Meter tiefer ein 110 x 10 Meter großes einstöckiges Betongebäude als Sockel für die 8 Geschütztürme errichtet. Jeder dieser Türme hatte einen Durchmesser von 7 Metern und eine Höhe von 8 Metern. Oben drauf saß jeweils eine um 360 Grad drehbare Stahlkuppel für die Geschütze. Von der französischen Seite waren also lediglich diese zu erkennen.
Eine gigantische Anlage also, die hier vis à vis zu den in unmittelbarer Nähe liegenden französischen Anlagen Fort du Gondran, Fort de l‘Olive und Fort du Janus ab 1898 entstand.
Fertiggestellt wurde das Forte Chaberton, von den Franzosen auch „Cuirassé des Nuages“ oder „Fort des Nuages“ genannt, im Jahr 1913. Kam danach aber nie zum Einsatz. Denn als Italien unter recht fadenscheiniger Begründung 1915 den Dreibund kündigte, waren Italien und Frankreich auf einmal Verbündete – und die Geschütze wurden an die italienisch-österreichische Front transportiert.
Unter Mussolini wurde das Höhenfort 1927 wieder bewaffnet. Es wurde zur nächsten Auseinandersetzung mit dem Nachbarn gerüstet. Und nachdem Italien Frankreich am 10. Juni 1940 den Krieg erklärt hatte, um sich an der Liquidation des bereits von der deutschen Wehrmacht geschlagenen Gegners noch rasch und vermeintlich risikolos zu beteiligen, wurden vom Chaberton aus am 16. Juni 1940 – 42 Jahre nach Baubeginn – die ersten Salven abgefeuert.
Die Franzosen nahmen das Fort ab dem 21. Juni von einer südsüdwestlich von Briançon gelegenen bis zuletzt geheim gehaltenen Stellung ins Visier – und schon nach dem ersten Tag waren nur noch 2 von 8 Geschützen einsatzbereit. So viel zum Thema ‚risikolos‘.
Geblieben sind die Ruinen, die jetzt dem Gipfel des Mont Chaberton aus der Ferne sein gezacktes Aussehen verleihen. Und die stehen seit dem Friedensvertrag von 1947 auf französischem Territorium.
Bis in die 80-er Jahre des vorigen Jahrhunderts war der Gipfel über die von Fenils heraufführende Piste noch mit einem geländegängigen Wagen anfahrbar. Diesen Weg können/ dürfen heute wegen teilweiser Verschüttung und Sperrung der Strecke nur noch Mountainbiker nutzen. Für Wanderer bietet es sich an, den weitaus kürzeren (und längst nicht so staubigen) Weg von Claviere herauf zu nehmen , für den man circa 4 Stunden benötigt.
Schade, dass der 1957 entstandene Plan, auf dem Gipfel des Monte Chaberton ein Rifugio zu errichten, nicht umgesetzt wurde. Dort hätten im 2. Geschoss, zwischen Restaurant und Panoramekuppel, 5 Doppelzimmer und 8 Einzelzimmer eingerichtet werden sollen. Quel luxe!
Sabine Bade & Wolfram Mikuteit